{"id":11790,"date":"2018-06-10T10:27:06","date_gmt":"2018-06-10T08:27:06","guid":{"rendered":"https:\/\/vonortzuort.reisen\/?p=11790"},"modified":"2022-02-13T16:20:03","modified_gmt":"2022-02-13T15:20:03","slug":"krematorium-wedding","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/vonortzuort.reisen\/deutschland\/berlin\/krematorium-wedding\/","title":{"rendered":"Krematorium Wedding – eine ungew\u00f6hnliche F\u00fchrung"},"content":{"rendered":"\n

Ich gebe es zu, eine F\u00fchrung durch ein Krematorium h\u00f6rt sich zun\u00e4chst merkw\u00fcrdig an, bis man erf\u00e4hrt, was sich heute in dem Geb\u00e4ude befindet.<\/p>\n\n\n\n\n\n\n\n

Eher durch Zufall bin ich auf eine wirklich au\u00dfergew\u00f6hnliche F\u00fchrung aufmerksam gemacht geworden. Der neue Besitzer des Krematoriums Wedding bietet einen Rundgang an, der nicht nur zur Geschichte des Geb\u00e4udes etwas erz\u00e4hlt, sondern auch die Zukunft anschaulich darstellt.<\/p>\n\n\n\n\n\n\n\n

Krematorium Wedding \u2013 es war einmal\u2026<\/h2>\n\n\n\n

Die Bev\u00f6lkerung in Berlin wuchs und zunehmend machte sich das Problem der Unterbringung von Toten bemerkbar. Das Thema Feuerbestattung wurde immer popul\u00e4rer, auch wenn die Kirchen sich eindeutig dagegen aussprachen. F\u00fcr sie war die Verbrennung eines K\u00f6rpers etwas gottloses. Dennoch war die Bestattung in einer Urne in Preu\u00dfen seit 1891 erlaubt. Nur die Verbrennung des K\u00f6rpers war verboten.
Es gab aber auch \u00c4rzte, Hygieniker und den Verein f\u00fcr Feuerbestattung, die sich eindeutig f\u00fcr die Feuerbestattung aussprachen. Sie hielten diese Art der Bestattung im Gegensatz zur Erdbestattung als wesentlich raum\u00f6konomischer und hygienischer (vor allem f\u00fcr das Grundwasser der Stadt).<\/p>\n\n\n\n

\"Eingang<\/a><\/figure>\n\n\n\n

Lange k\u00e4mpfte der Verein f\u00fcr Feuerbestattung f\u00fcr sein Recht und konnten 1906 einen ersten Teilerfolg verbuchen. Trotz des gesetzlichen Verbotes der Feuerbestattung, wurden ihnen der Bau einer Urnenfeierhalle und eines Urnenhains genehmigt. Als Standort konnten sie einen 1828 angelegten und inzwischen geschlossenen Friedhof im Wedding nutzen.<\/p>\n\n\n\n

Der Architekt William M\u00fcller plante die Halle mit der zus\u00e4tzlichen M\u00f6glichkeit, gegebenenfalls mit geringem Aufwand, aus der Urnenhalle ein Krematorium zu machen. So wurden beim Bau bereits der Schornstein, ein Sargaufzug und das Fundament f\u00fcr den Einbau des Verbrennungsofens eingeplant.
Nachdem 1911 die Feuerbestattung legalisiert wurde, konnte so innerhalb kurzer Zeit der Einbau einer Verbrennungsanlage nach Siemens erfolgen und schon im November 1912 gab es im Krematorium Wedding die erste Ein\u00e4scherung eines Verstorbenen. Bis zum Jahresendes waren es bereits 66 Ein\u00e4scherungen. Schon 5 Jahre sp\u00e4ter verzeichnete man fast 2000 Ein\u00e4scherungen.
Die vorhandene Kapazit\u00e4t reichte nicht aus und musste ein dritter Ofen eingebaut werden. In den 1920er errichtete man eine \u201eNothalle\u201c aus Holz. Hier konnten man S\u00e4rge einlagern. Zus\u00e4tzlich installierte man ein spezielles K\u00fchl- und Bel\u00fcftungssystem mit 113 K\u00fchlschr\u00e4nken.<\/p>\n\n\n\n

\"Krematorium<\/a><\/figure>\n\n\n\n

Nutzung des Krematoriums von 1930 – 1945<\/h3>\n\n\n\n

1936 reichten auch diese Kapazit\u00e4ten nicht mehr aus und es wurde ein zeitgem\u00e4\u00dfer Erweiterungsbau mit einer zweiten Feierhalle errichtet. Die h\u00f6lzerne Halle wurde durch einen Neubau mit 140 Sitzpl\u00e4tzen ersetzt.<\/p>\n\n\n\n

In der Zeit der Nationalsozialisten wurden dem Krematorium \u201eSonderaufgaben\u201c zugewiesen. Es gibt Hinweise darauf, dass hier politische Gegner des NS-Regierung spurlos beseitigt worden sind. Es gibt aber keine Hinweise auf eine m\u00f6gliche Beteiligung an den Morden der j\u00fcdischen Bev\u00f6lkerung.<\/p>\n\n\n\n

W\u00e4hrend des Zweiten Weltkrieges war das Krematorium ununterbrochen in Betrieb. Auch w\u00e4hrend des Fliegeralarms wurden die \u00d6fen befeuert.<\/p>\n\n\n\n

Die Nachkriegszeit (1945 \u2013 2013)<\/h3>\n\n\n\n

Nachdem die schlimmsten Kriegssch\u00e4den beseitigt waren, konnte das Krematorium Wedding Ende 1945 seinen Betrieb vollst\u00e4ndig wieder aufnehmen.<\/p>\n\n\n\n

\"Krematorium<\/a><\/figure>\n\n\n\n

Der Winter 1969\/70 und eine Grippewelle brachten das Krematorium an seine Belastungsgrenzen. Auch der Neubau einer Anlage in Ruhleben konnte zun\u00e4chst nur kurzzeitig eine Entlastung bringen. 1982 baute man 4 neue \u00d6fen und eine moderne Filteranlage ein. Wenn im Dreischichtsystem gearbeitet wurde, konnten so 9000-10000 Ein\u00e4scherungen j\u00e4hrlich vorgenommen werden.<\/p>\n\n\n\n

Nach der Wende gab es f\u00fcr die Berliner Bev\u00f6lkerung drei Krematorien \u2013 Wedding, Ruhleben und Baumschulenweg. Das Krematorium in Treptow musste zun\u00e4chst aufgrund zu hoher Schadstoffbelastung geschlossen werden.<\/p>\n\n\n\n

Das Bezirksamt Wedding lie\u00df zwischen 1998 und 2000 f\u00fcr 3,2 Millionen DM Modernisierungen im Weddinger Krematorium vornehmen. Man errichtete eine unterirdische Halle mit 817 Leichenlagerpl\u00e4tzen und 11 Seziertischen.
Ende 2002 schloss die Stadt das Krematorium Wedding. In Treptow hatte man 1999 ein neues Krematorium errichtet und nun gab es eine \u00dcberkapazit\u00e4t. Wedding wurde trotz neuster Anlagen nicht mehr ben\u00f6tigt.<\/p>\n\n\n\n

Der Urnenfriedhof wurde vom Krematorium getrennt und dieses zum Verkauf ausgeschrieben. S\u00e4mtlich Inneneinrichtung blieb erhalten.<\/p>\n\n\n\n

Das Krematorium Wedding \u2013 Stand 2018<\/h3>\n\n\n\n

2013 kaufte silent green die Anlage und errichtet seitdem hier ein Kulturquartier. Erste Umbau- und Renovierungsma\u00dfnahmen lie\u00dfen bereits B\u00fcros, Ateliers, Ausstellungsfl\u00e4chen und ein Caf\u00e9 entstehen.<\/p>\n\n\n\n

\"Gastro<\/a><\/figure>\n\n\n\n

Zur Zeit finden weitere Umbauma\u00dfnahmen statt, die vor allem in der unterirdisch liegenden Halle neue Eventbereiche entstehen lassen.<\/p>\n\n\n\n

Ungew\u00f6hnliche Besichtigung<\/h2>\n\n\n\n

Unsere Besichtigung f\u00fchrte uns zun\u00e4chst vor das denkmalgesch\u00fctzte Geb\u00e4ude. Man steht in einem kleinen Vorhof vor der Haupthalle. Rechts und links befinden sich Fl\u00fcgelbauten. Diese sind als Kolumbarien genutzt worden. Heute erinnert nicht mehr viel an die urspr\u00fcngliche Nutzung. Hier befinden sich B\u00fcros und Wirtschaftsr\u00e4ume. Nur noch die Umrisse von Grabplatten sind sichtbar. Diese wurden im Zuge der denkmalgerechten Umgestaltung leider entfernt.<\/p>\n\n\n\n

\"Eingang<\/a><\/figure>\n\n\n\n

Bei der Architektur des Krematoriums hatte William M\u00fcller einiges zu beachten. Er musste den Spagat zwischen der christlichen Tradition und der neuen weltlichen Bestattungsform schaffen. Betrachtet man zum Beispiel die Figur \u00fcber der Eingangst\u00fcr zur Haupthalle wird dieses recht deutlich. Die Frauenfigur ist bewu\u00dft vieldeutig gestaltet worden. Man kann in ihr eine Figur aus der Antike, eine Marienfigur oder eine Tempeldienerin erkennen, je nachdem, welche Betrachtungsweise bevorzugt ist. Auch die beiden Greife am Eingang zum Innenhof stammen nicht aus dem christlichen Glauben, sondern lassen sich eher mit den Bewachern von Sarkophagen vergleichen.<\/p>\n\n\n\n

\"Greife<\/a><\/figure>\n\n\n\n

Die Trauerhalle<\/h3>\n\n\n\n

Wir betreten durch eine T\u00fcr, an der noch immer schwach der Schriftzug Bitte Ruhe zu erkennen ist, die Trauerhalle. Das Licht ist schummerig, ich entdecke keine Fenster.
Die Trauerhalle ist achteckig und erinnert ein bi\u00dfchen an einen r\u00f6mischen Kuppelbau. An den W\u00e4nden entdeckt man noch einige der \u00fcber 400 Urnennischen \u2013 heute aber ohne Urnen. Die Urnennischen konnten bei der Neugestaltung des Raumes wieder hergestellt werden.<\/p>\n\n\n\n

\"Urnenhalle<\/a>
Urnenhalle 1926 copyright: mittemuseumberlin<\/figcaption><\/figure>\n\n\n\n

In den 30er Jahren, als hier Trauerfeiern im 20 min\u00fctigen Takt stattfanden, st\u00f6rten es die Trauernden, wenn Angeh\u00f6rige die Grabst\u00e4tten in der Trauerhalle besuchten. Kurz entschlossen lagerte man die Urnen um und verputzte die Fl\u00e4chen.<\/p>\n\n\n\n

\"\"<\/a>
Fotografin: Cordia Schlegelmilch<\/figcaption><\/figure>\n\n\n\n

Mir f\u00e4llt als erstes der Terrazzoboden ins Auge. Er ist zweifarbig gestaltet. Neben geometrischen Formen befindet sich auch das Abbild einer Schlange im Boden. Wir erfahren, dass die Schlange bei den Freidenkern das Symbol f\u00fcr die Transformation und den Neubeginn ist.<\/p>\n\n\n\n

Direkt gegen\u00fcber von der Eingangst\u00fcr steht heute eine B\u00fchne. Inzwischen wird dieser Raum f\u00fcr Veranstaltungen genutzt. Was man dadurch heute nicht mehr sieht, ist der Ort, an dem fr\u00fcher der Sarg stand. Die Sargversenkungsanlage gibt es heute auch nicht mehr. Fr\u00fcher \u00f6ffnete sich diese am Ende der Trauerfeier und der Sarg versank im Boden. Die gesamte Technik f\u00fcr die Ein\u00e4scherung befand sich unterirdisch und war f\u00fcr die Trauernden nicht sichtbar.<\/p>\n\n\n\n

\"Trauerhalle\"<\/a><\/figure>\n\n\n\n

Mich beeindruckt der Raum durch seine Schlichtheit. Es ist eben nicht wie in einer Kirche, hier konnte sich auch der nicht an den christlichen Glauben orientierende Trauernde angesprochen und geborgen f\u00fchlen.<\/p>\n\n\n\n

Der Ofenraum<\/h3>\n\n\n\n

Unterhalb der Trauerhalle befindet sich der Ofenraum. Die versenkten S\u00e4rge wurden vollautomatisch auf kleinen Wagen mit Hilfe von Magnetspulen hier her transportiert.<\/p>\n\n\n\n

Wir treten in den Raum, der heute als Lagerraum dient. Hier erinnert kaum noch etwas an die urspr\u00fcngliche Aufgabe in diesem Raum. Lediglich die Kachelung, die noch im Jahr 2000 erneuert wurde, k\u00f6nnte Aufschluss geben, wo wir gerade stehen. Hinter einer kleinen T\u00fcr befinden sich noch einige Urnennischen und man hat hier die Metallplatten einer Sargversenkungsanlage aufgeh\u00e4ngt.<\/p>\n\n\n\n