Es ist 10 Uhr, das Deutsche Auswandererhaus in Bremerhaven öffnet seine Türen. Wir erhalten an der Kasse Chipkarten und eine ausführliche Erklärung, was uns bei unserem Besuch in diesem wirklich einzigartigen „Museum“ erwartet. Ich bin gespannt, was ich erleben werde.
Bremerhaven ist die Stadt, von der aus mehr als 7 Millionen Menschen Deutschland verlassen haben. Zwischen 1830 und 1974 brachten Schiffe die Auswanderer in die USA, nach Kanada, Brasilien, Argentinien und Australien.
Im Deutschen Auswandererhaus wird die Geschichte einiger Auswanderer und einiger Einwanderer lebendig gemacht und den Besuchern multimedial präsentiert.
Das Deutsche Auswandererhaus eröffnete 2005 und beschäftigte sich zunächst nur mit dem Thema Auswanderung. Seit 2012 wird im Erweiterungsbau das Thema „Einwanderung nach Deutschland seit dem 17.Jahrhundert“ aufgegriffen. Einzigartig ist, dass man während des Besuches nicht nur allgemeine Informationen rund um das Thema Aus- und Einwanderung erfährt, sondern auch in die Rolle von realen Personen schlüpft und ihre Geschichte erlebt.
Deutsches Auswandererhaus – unser Besuch
So, nun haben wir also unsere Chipkarte in der Hand und zusätzlich einen Boarding Pass. Hier stehen alle zunächst relevanten Informationen. Also wer bin ich in den nächsten Stunden…
Meine Auswanderung – erlebte Geschichte
Gut, ich wandere also aus…
Im ersten Teil der Ausstellung bin ich Martha Hüner und erlebe ihre Auswanderung. Geboren wurde Martha Hüner 1906, von Bremerhaven wanderte sie 1923 nach Amerika (New York) aus und ich erfahre auch schon, dass sie 1987 verstorben ist. Ich bin gespannt, was mich erwartet.
Wir betreten den Warteraum der 3.Klasse und warten auf die Abfahrt unseres Schiffes. Nach einer kurzen Einführung gelangen wir auf die Kaje. Hier stehen Koffer, Abschied nehmende Menschen, Hafenwasser platscht an die Kaje und man kann den Schiffsrumpf entdecken. Ein Stimmengewirr aus unzähligen Sprachen erfüllt den Raum, verstärkt wird das durch die Möglichkeit, Informationen über unsere Chipkarte abzurufen. Ich stehe zwischen den Koffern, bin gefangen von der Szene und entdecke überall Details, die mich in den Bann ziehen. Ein bißchen kommt Abschiedsstimmung auf…
Über die Gangway gelangen wir in das Schiff. Hier kann ich mich zunächst über die Fahrt von Martha Hüner mit der München (1923) informieren und anschließend begebe ich mich auf Entdeckungstour durch ein typisches Auswandererschiff. An Hörstationen erfahre ich, wie das Leben eines Passagiers in der 3.Klasse gewesen ist. Ich kann mit Schlafräume mit engen Holzetagenbettten (hier teilten sich ganze Familien ein Bett) und Bereiche mit Metallstockbetten angucken. Bilder stellen uns die Luxusunterkünfte der ersten Klasse vor. Wir laufen durch viele kleine sehr authentisch angelegten Räume, manchmal sogar mit dem Gefühl, dass der Boden leicht schwankt – oder ob das an den Wellen in den Bullaugen lag…
Schließlich legt das Schiff in New York an. Für meine Figur Martha, die hier erwartet wird, ein beeindruckender Moment. Für viele andere Reisende ein Moment der Angst – ob sie wohl in die USA einreisen dürfen?
In einem typischen Warteraum sitze ich auf harten Holzbänken in Gitterkäfigen und höre mir die Prozedur der amerikanischen Behörden an.
Nur die Passagiere der ersten und zweiten Klasse dürften direkt in New York an Land gehen. Alle anderen Passagiere wurden nach Ellis Island gebracht – einer Insel nur für Einwanderer. Täglich kamen 3000-5000 Menschen an. Sie wurden medizinisch untersucht, ausführlich befragt und nach strengen Kriterien entschied man schließlich, wer einreisen durfte und wer nicht. Denjenigen, denen die Einreise verweigert wurde, mussten auf Kosten der Reederei zurück in den Abfahrtshafen gebracht werden. Alle anderen landeten früher oder später am Grand Central Terminal, dem Bahnhof in New York. Schon interessant, was man hier alles hört und ein wenig bedrückend empfinde ich es schon, wie die Menschen fast wie Tiere begutachtet wurden. Wie glücklich müssen die Auswanderer gewesen sein, wenn sie diese Hürde gemeistert hatten.
Im Bahnhof von New York erfahre ich nun noch mehr über das Leben und dem Tod von Martha Hüne. Ich lerne ein abwechslungsreiches und oft sehr hartes Leben kennen und ein bißchen fühle ich mich so, als ob ich selber ausgewandert wäre.
Meine Einwanderung – willkommen in Deutschland
Im Anbau des Deutschen Auswandererhauses befindet sich der Ausstellungsbereich, der sich mit der Einwanderung nach Deutschland beschäftigt. An einem Kiosk werden wir von einer Mitarbeiterin des Hauses in den weiteren Ablauf eingewiesen.
Meine neue Identität als Einwanderin ist Mai Phuong Kollath, die 1981 nach Rostock eingewandert ist. Ich bin gespannt auf das Leben der Vietnamesin und vor allen möchte ich wissen, warum sie nach Deutschland gekommen ist.
Wir betreten eine Ladenpassage aus dem Jahr 1973. Es ist wie eine Reise zurück in die Vergangenheit. Ich entdecke Gegenstände aus meiner Kindheit und kann mich nicht an den vielen Erinnerungen satt sehen. In der Ladenpassage befinden sich verschiedene Geschäfte, vom Lebensmittelladen bis hin zum Antiquariat. In jedem Geschäft finde ich etwas, was mir Antworten auf meine Frage, wer ist Mai Phuong, gibt. Fotos, Gegenstände aus der Familiengeschichte, auf welchem Weg ist sie eingereist… An einer Hörstation erfahre ich, dass Mai Phuong 1981 in Berlin-Schönefeld landet, dass sie angeworben von der DDR Regierung ihr Land verlassen hat in der Hoffnung in Deutschland ein besseres Leben vorzufinden. In Rostock wird sie, entgegen der ursprünglichen Versprechungen in einer Großküche beschäftigt. Mir wird sehr eindrucksvoll das Leben mit allen Hindernissen und wichtigen Ereignissen beschrieben, ja ich erfahre sogar, was aus der Vietnamesin nach der Wiedervereinigung geworden ist.
Eine wirklich interessante Reise durch die nahe Vergangenheit.
Zum Abschluss gucken wir uns in einem kleine Kino noch einen Kurzfilm zum Thema „Deutsch-Türkische Liebe“ an. Der Film beschreibt eindrucksvoll die Konflikte, Probleme und Hoffnungen von deutsch-türkischen Paaren. Ein wirklich gut gemachter Film, der mich so einige Male zum Schmunzeln und viel zum Nachdenken gebracht hat.
Seit 2016 befasst sich das Deutsche Auswandererhaus auch mit dem Thema der syrischen Einwanderer in Deutschland. Anhand der Geschichte einer kurdischen Familie wird das aktuellste Zuwanderungsthema in Deutschland aufgegriffen und aufgearbeitet.
Thema Familienforschung
Täglich ab 12 Uhr kann man in einem Computerraum am Ende des Rundganges selber auf Forschungsreise gehen. Unterstützt von zwei Ahnenforschungsprogrammen mit riesigen Datenbanken kann man hier erkunden, ob man selber Familienmitglieder hat, die ausgewandert sind.
Für uns kein unbekanntes Thema. Wir sind mit einer Gruppe, die weltweit verstreut lebt in Kontakt, die alles unseren Nachnamen (auch in leicht abgeänderter Form) tragen. Hier ist immer mal wieder jemand auf der Suche nach seinen Vorfahren und inzwischen wissen wir, dass einige davon aus Deutschland kommen. Das Netzwerk arbeitet immer wieder daran, lose Fäden zu verknüpfen und einen Stammbaum zu errichten.
Wir haben auf jeden Fall unsere Recherchen wieder aufgenommen und sind gespannt, ob wir noch mehr herausbekommen.
Und… war es einen Besuch wert?
Auf jeden Fall! Wir waren 2 Stunden im Deutschen Auswandererhaus unterwegs und sind so voller Eindrücke heraus gekommen, dass wir noch lange über das Gesehene gesprochen haben. Nicht nur die Liebe zum Detail, sondern auch die Vielfalt der Eindrücke und besonders die Geschichten der Menschen lassen das Museum zum Erlebnis werden.
Öffnungszeiten:
März – Oktober
täglich 10 – 18 Uhr
November – Februar
täglich: 10 – 17 Uhr
24.12. geschlossen.
Eintrittspreise (2018):
Erwachsene: 14,80 €
Es werden Ermäßigungen angeboten.
Offenlegung: Wir bedanken uns beim Deutschen Auswandererhaus für die Einladung, die im Rahmen unserer Pressereise nach Bremerhaven erfolgte. Der Bericht entspricht ausschließlich unseren eigenen Erlebnissen.
Deutsches Auswandererhaus Bremerhaven
Herzlichen Dank für den schönen Artikel! Wir freuen uns, dass Ihnen die Zeitreise im Deutschen Auswandererhaus gefallen hat.
Gudrun
Ich fand das Auswandererhaus super. Durch die Möglichkeit mit einem “echten” Auswanderer mitzureisen, macht das ganze sehr spannend und authentisch!