Auf der Strecke zwischen Tadoussac und Québec liegt das Dorfes Saint-Joseph-de-la-Rive. Hier befindet sich das Musée Maritime de Charlevoix. Dieses Museum hat kaum ein internationaler Tourist in seinem Reiseplan, was eigentlich sehr schade ist, denn es ist einfach spannend und erzählt so viel zum Thema Schifffahrt in der Region.
Von Tadoussac kommend fahren wir eine unglaubliche Strasse in Richtung Küste. Hier machen die Warnschilder für die LKWs wirklich Sinn, es ist wahnsinnig steil und es gibt nur wenig „Auslaufzonen“ für Notfälle. Aber dafür wird man mit einem atemberaubenden Blick auf die Landschaft belohnt.
Das Musée Maritime de Charlevoix ist gut ausgeschildert und es gibt einen großen kostenfreien Parkplatz direkt vor der Tür. Sogar e-Ladesäulen sind vorhanden und kostenfreie Toiletten stehen zur Verfügung.
In einem großen modernen Gebäude befindet sich der Museumsshop und die Kasse. Wir haben einen Plan des Geländes erhalten (laminiert mit der Bitte ihn später zurück zu geben), unseren Eintritt bezahlt und dann die Entdeckungstour gestartet.
Das Musée Maritime de Charlevoix befindet sich auf dem Gelände der ehemaligen Werft “Chantiers maritimes de Charlevoix Ltée”, die 1946 gegründet wurde. Besucher betreten keinen neutralen Ausstellungsraum, sondern die Werftanlagen selbst – das Sägewerk, die Werkstätten und die Hellinganlage – sind die nur einige der Exponate.
Die unglaubliche Geschichte des Musée Maritime de Charlevoix
Die Werft von Saint-Joseph-de-la-Rive, jahrzehntelang das winterliche Zuhause und die Werkstatt der majestätischen Holzschoner, schloss 1973 für immer ihre Tore. Die letzten seetüchtigen Goélettes segeln in die Karibik davon. Am Ufer des Sankt-Lorenz-Stroms werden die verbliebenen Schiffe dem Verfall preisgegeben.
Doch wo andere nur das Ende sahen, erkannte eine Gruppe engagierter Bürger eine einmalige Chance. 1981 eröffneten sie in der alten Dorfschule die ersten maritimen Ausstellung und hofften auf das Interesse von vielen Besuchern. Dieser Hoffnunggsfunke wurde zu einem Leuchtfeuer, als 1985 der Werftbesitzer JAZ Desgagnés zustimmte, das gesamte Gelände in ein Zentrum für das maritime Erbe der Region zu verwandeln. Der Grundstein für das heutige Museum war gelegt. Die Mission des Museums besteht darin, die Geschichte der hölzernen Schoner, der sogenannten Goélettes, und der Küstenschifffahrt (cabotage) zu bewahren und zu vermitteln. Diese bildeten einst das Rückgrat der wirtschaftlichen Entwicklung Québecs
Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. 1998 erhielt das Musée Maritime de Charlevoix die höchste Anerkennung: Es wurde zur nationalen historischen Stätte Kanadas ernannt. Doch genau in diesem Moment schlug das Schicksal zu. Ein verheerendes Feuer wütete auf dem Gelände und zerstörte die drei historischen Schiffe, die das Herz der Sammlung ausmachten.
Was folgte, war eine Welle der Unterstützung und Spendenbereitschaft in der Region. Mit vereinten Kräften gelang es dem Museum, eine neue Flotte zu erwerben: die Schoner Jean-Yvan und Saint-André sowie die Fischergoélette Marie Clarisse. Zwei der Schiffe, die Saint-André und die Marie Clarisse, sind offiziell als Kulturgüter Québecs klassifiziert.
Seitdem wächst das Musée Maritime de Charlevoix unaufhörlich. Im Jahr 2008 kam mit der Schenkung des 40 Hektar großen “Forêt marine” (Meereswald) die ökologische Dimension hinzu, die das Motto “Vom Wald zum Fluss” erlebbar macht.
Im Sommer 2024 vollendete man ein 8,6-Millionen-Dollar-Projekt. Um die wertvollen Schoner zu schützen sind Schutzdächern entstanden.
Ein 360-Grad-Erlebnis: Ausstellungen und Attraktionen vor Ort
Der Besuch des Museums führte uns durch mehrere recht unterschiedliche Bereiche. Einige Bereiche befinden sich in den Gebäuden, wie zum Beispiel im Keller des modernen Baus, in dem wir die Eintrittskarten erworben hatten. Das Museum nutzt dabei modernste Technologie, um Geschichte lebendig und emotional erfahrbar zu machen.
Naufrages (Schiffbrüche)
DieserAusstellungsbereich entführt die Besucher in die oft tückischen Tiefen des Sankt-Lorenz-Stroms. Sie nutzt spektakuläre Bilder und Projektionen, um die Geschichten von Schiffbrüchen zu erzählen, die die Region geprägt haben. Die Ausstellung wurde 2024 mit exklusivem Filmmaterial einer Unterwasserexpedition zu einem 200 Jahre alten Wrack aktualisiert.
Viele der Audio- und Videoaufnahmen sind ins Englische übersetzt. Mich hat besonders die Geschichte einiger Schiffbrüchigen der Aigle d’océan bewegt, die von ihrem Überlebenskampf und dem hoffnungslosen Versuch ihre Kammeraden zu retten berichtet haben.
Né pour naviguer (Zum Navigieren geboren)
Diese Foto- und Videoinstallation ist eine Hommage an die Menschen hinter den Schiffen. Mit synchronisierten Projektionen auf drei Wänden werden die persönlichen Geschichten der Seefahrerfamilien von Charlevoix erzählt.
Le 8e voyage à la vitesse du vent (Die 8. Reise mit Windgeschwindigkeit)
Dieses interaktive Videospiel, das sich im Pavillon des Pilotes befindet, richtet sich besonders an Familien. Besucher können hier das Steuer einer virtuellen Goélette übernehmen und ihre Fähigkeiten als Kapitän unter Beweis stellen.
Ich habe mich natürlich an diesem Spiel versucht. Leider bin ich nicht nur an meine sprachlichen, sondern auch an meine spielerischen Grenzen gestoßen. Die Jugendlichen, die ich beobachtet habe, hatten wie Spaß dabei.
Vom Balkon des Pavillons hat man einen sehr schönen Ausblick auf den Fluss. Auch bei Ebbe, wenn nur Schlick in der Bucht zu erkennen ist, wirkt der Sankt-Lorenz-Strom noch beeindruckend.
Die Verbindung zur Natur – Parc des Navigateurs und Forêt marine
Das Museumsgelände erstreckt sich weit über die Werft hinaus und integriert die umgebende Natur.
Parc des Navigateurs
Dieser 8,2 Hektar große Park ist ein wunderbarer Ort für Familien und Naturliebhaber. Er bietet einen Abenteuerparcours (piste d’hébertisme) für Kinder, ein Pflanzenlabyrinth, monumentale Skulpturen, die sich auf die Geschichte des Flusses beziehen, und zahlreiche Picknickplätze. Hier darf man sein mitgebrachtes Essen und Trinken genießen.
Forêt marine (Meereswald)
Dieses 40 Hektar große Waldgebiet ist ein Bestandteil des Konzepts “vom Wald zum Fluss”. Es dient der Wiederherstellung des “Schiffswaldes”, indem gezielt die Baumarten kultiviert werden, die traditionell für den Bau von Schonern benötigt wurden. Ein 4 km langer Wanderweg mit einem Höhenunterschied von 310 Metern führt durch den Wald und bietet gute Aussichtspunkte auf den Fluss und die gegenüberliegende Isle-aux-Coudres.
Das Industrieerbe – Die historische Werft
Das Herzstück des Museums sind die originalen Werftanlagen von 1946. Hier haben wir uns am längsten aufgehalten – es gab so viel zu entdeckten.
Besucher können das alte Sägewerk (scierie), die Werkstatt (atelier), die Lager (magasins) und die beeindruckende Hellinganlage mit ihrer Winde und dem Schlitten (winch and skid) erkunden. Da waren schon einige merkwürdige Maschinen dabei, die für den Schiffsbau benötigt wurden.
Der Höhepunkt des Rundgangs sind aber die Museumsschiffe, die wir sogar betreten konnten.
An Bord der Marie Clarisse (1923)
Was für eine Erscheinung! Mit ihren 40 Metern Länge strahlt die Marie Clarisse eine raue Eleganz und die Kraft eines echten Hochseeschiffes aus. Dieses Schiff hat eine Seele – und eine dramatische Geschichte. Das Schiff sank 1976 im Hafen und lag sieben Monate unter Wasser, bevor es in mühevoller Arbeit gerettet und restauriert wurde.
Meine Neugier führt mich zum Steuerrad. Eine seltsame Konstruktion! Um geradeaus zu blicken, muss der Steuermann seitlich neben dem Rad stehen. Wie unpraktisch das bei schwerer See gewesen sein muss!
Der Höhepunkt ist aber der Maschinenraum. Sobald ich die Treppe hinabsteige, umfängt mich der schwere, ölige Geruch von Diesel. Er ist so intensiv, als wäre die Maschine erst vor wenigen Minuten abgestellt worden. Es fühlt sich an, als könnte das Schiff jeden Moment wieder zum Leben erwachen und ablegen.
An Bord der Félicia (1923)
Etwas abseits der großen Schoner, fast in Ufernähe, liegt die Félicia. Dieser alte Schlepper ist anders. Er steht nicht unter einem schützenden Dach und das sieht man ihm auch an. Jahrelang war er dem Wetter und dem salzigen Wasser ausgesetzt. Rost kriecht an vielen Stellen über das Metall, und ich muss gut aufpassen, wohin ich trete. Aber genau das macht seinen Charme aus – er ist authentisch, rau und ehrlich.
Das Steuerhaus ist die reinste Form der spartanischen Effizienz. Ein riesiges Steuerrad, das nach echten Muskeln verlangt, und drei schwere Hebel für die Maschinen. Kein Schnickschnack. Das war noch echte Handarbeit! Als Kontrast dazu betrete ich die Kapitänskajüte. Für die damalige Zeit muss dieser kleine Raum der pure Luxus gewesen sein.
An Bord der Saint-André (1956)
Über einen knarrenden Holzsteg erreiche ich das Deck. Schon hier spüre ich die Besonderheit dieses Schiffs.
Die Saint-André ist kein gewöhnlicher Schoner; sie ist ein Arbeitstier, gebaut für die Tücken des Sankt-Lorenz-Stroms. Ich stelle mir vor, wie die Ebbe das Wasser zurückzieht und dieses Schiff mit seinem flachen Rumpf sanft auf einer Sandbank landet, um die abgelegenen Dörfer mit lebenswichtiger Fracht zu versorgen. Was für eine geniale Konstruktion!
Ich steige hinab in den einstigen Laderaum. Wo früher Säcke und Kisten gestapelt wurden, fesselt mich heute eine Multimedia-Show, die die Vergangenheit lebendig werden lässt. Ein altes Rettungsboot liegt hier wie ein stummer Zeuge vergangener Fahrten. Danach geht es über steile Treppen nach oben, bis in die Steuerkanzel. Der Kontrast ist verblüffend! Verglichen mit anderen Schiffen, die ich gesehen habe, wirkt hier alles wesentlich moderner. Man spürt den technologischen Fortschritt, der dieses Schiff so einzigartig gemacht hat.
An Bord der Jean-Yvan (1958)
Dieses Schiff ist ein wahres Abenteuer! Die Jean-Yvan, eine der letzten in Québec gebauten Holzgoéletten, lädt zum Entdecken ein.
Hier gibt es keine Absperrungen, die mich aufhalten. Ich darf überall hin! Vom tiefsten Punkt des Laderaums, wo einst Waren lagerten und später junge Marinekadetten ihre Ausbildung erhielten, klettere ich bis hinauf ins Steuerhaus. Ich ducke mich durch niedrige Türen, erkunde jeden Winkel und spüre die Geschichten, die sich hier abgespielt haben müssen.
Diese vollständige Zugänglichkeit macht die Jean-Yvan zu einem lebendigen Herzstück des Musée Maritime de Charlevoix.
Besucherinformationen
Adresse
305, rue de l’Église,
Saint-Joseph-de-la-Rive, Québec, G0A 3Y0.
Anfahrt
Das Museum ist gut mit dem Auto erreichbar; kostenlose Parkplätze für Besucher sind vorhanden. Es gibt zudem zwei Ladestationen für Elektrofahrzeuge.
Für Radfahrer stehen Fahrradständer zur Verfügung.
Öffnungszeiten
15. Mai bis 13. Oktober
täglich: 9:30 – 17:30 Uhr
Eintrittspreise
Erwachsene: 18,-$ (Kanadische Dollar zzgl. Steuern)
Barrierefreiheit
Das Museum hat erhebliche Anstrengungen unternommen, um barrierefrei zu sein, darunter automatische Türen, angepasste Toiletten und einen Leihrollstuhl.
Aufgrund der historischen Natur der Schiffe sind deren Decks jedoch nur teilweise zugänglich.
Gut zu wissen
Planen Sie mindestens 90 Minuten ein, idealerweise jedoch einen halben Tag, um das gesamte Gelände mit seinen Innen- und Außenbereichen ohne Eile erkunden zu können. Der letzte Einlass ist um 16:00 Uhr.
Aufgrund der vielen Außenattraktionen und des oft wechselhaften Wetters am Fluss sind wetterfeste Kleidung, Schichten und festes, bequemes Schuhwerk unerlässlich.
Das Mitbringen eines Picknicks wird ausdrücklich empfohlen.
Auf dem Gelände gibt es zahlreiche Picknickplätze mit Blick auf den Fluss oder die Berge.
An der Kasse sind zudem Kaffee und kleine Snacks erhältlich. Eine Bäckerei befindet sich in unmittelbarer Nähe im Dorf.
Eine einstündige Führung in französischer Sprache ist im Eintrittspreis inbegriffen. Sie findet in der Hochsaison (24. Juni bis 1. September) täglich um 10:30 Uhr statt.
Hunde sind an der Leine nur im Außenbereich des Museums gestattet
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