Nicht weit von Mechelen entfernt befindet sich ein ehemaligen Mädchenpensionat in Onze-Lieve-Vrouw-Waver. Der wunderschöne Jugendstil Wintergarten der Ursulinen, das Herz des ehemaligen Institutes, zählt zu den beeindruckendsten Sehenswürdigkeiten der Region.
Die Geschichte des Ursulinen-Instituts
Die Ursulinen in Onze-Lieve-Vrouw-Waver begannen ihre Arbeit im Jahr 1841 mit einem bescheidenen Unterfangen. Pfarrer Verheyden verfolgte das Ziel, den einheimischen Mädchen eine angemessene Bildung zu ermöglichen. Er wandte sich an seine Kollegin Lambertz aus Tildonk und die dort ansässigen Ursulinen. Am 22. April 1841 kamen die ersten acht Schwestern in Onze-Lieve-Vrouw-Waver an und ließen sich in einem bescheidenen Kloster mit einer kleinen Schule nieder, das sie “Gethsemane” nannten, was “Olivenhain” bedeutet.
Damals war Bildung für Mädchen keine Selbstverständlichkeit, doch die Schwestern strebten an, dies zu ändern. Kurz darauf eröffneten sie ein Internat und erweiterten die Anlage um weitere Klassenzimmer, Schlafsäle und eine neue Kapelle. Dies war der erste, aber nicht der letzte Ausbau des Ursulinen-Instituts.

Internationaler Ruf und Prestige
Der Ruf des Instituts zog bald Schülerinnen aus ganz Belgien und dem Ausland an. Die Schule entwickelte sich zu einem weitläufigen Komplex auf einem zehn Hektar großen Gelände, das Klassenzimmer, Arbeitsräume, Wohnheime, ein Badehaus mit eigenem Wasserturm und einen Park mit einzigartigen rustikalen Betonelementen umfasste.
Die gepflegte Umgebung, die gut erhaltenen Gebäude und das qualitativ hochwertige Bildungsangebot trugen dazu bei, das Ansehen des Instituts weit über die belgischen Grenzen hinaus zu festigen. Um 1900 kam fast einem Viertel der Schülerschaft aus Ländern wie Italien, Spanien, Rumänien, Panama, Brasilien, Australien und der Türkei.

Die Schwestern beschlossen, einen eindrucksvollen Jugendstil-Empfangsbereich, den Wintergarten, zu errichten. Diese architektonische Entscheidung zog die Aufmerksamkeit wohlhabender Familien weltweit auf sich. Ergänzt durch eine Klaviergalerie, eine Klosterkirche und einen englischen Garten, blieb das Institut auf der internationalen Landkarte präsent. Die Schwestern setzten die Ideen der internationalen Bewegung “l’art à l’école” um, indem sie ein stimulierendes Umfeld für junge Mädchen schufen. Überall im Institut wurden symbolische Dekorationen platziert, die dazu anregen sollten, dass die Schülerinnen durch Beobachten und Lesen lernen.
Wiederaufbau und Schutz nach dem Ersten Weltkrieg
Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs mussten alle 700 Schülerinnen nach Hause geschickt werden. Diejenigen, die nicht nach Hause konnten, wurden gemeinsam mit den Schwestern an die Küste evakuiert.
Das belgische Rote Kreuz wandelte Teile des Schulkomplexes in ein Krankenhaus und Lazarett um. Das Institut, das sich nahe der Front befand, erlitt schwere Schäden, wobei mehrere Gebäudeteile vollständig niederbrannten. Dennoch blieben die Kirche und der filigrane Wintergarten weitgehend unversehrt.

Nach dem Krieg planten die Schwestern den Wiederaufbau der Schule, um sie größer und funktionaler zu gestalten. Sie drehten das Gebäude um eine Vierteldrehung, um dem Wintergarten und der angrenzenden Klaviergalerie besseren Schutz zu bieten.
Wandel und Reform nach dem Zweiten Weltkrieg
Der Zweite Weltkrieg brachte erneut Zerstörungen über die Region, doch das Ursulinen-Institut kam vergleichsweise glimpflich davon und die Schäden wurden rasch behoben.
Nach der Befreiung im September 1944 diente ein Teil der Schule einige Monate lang als Militärkrankenhaus für alliierte Soldaten.

Nach dem Krieg stieg die Schülerzahl auf 950, und das Bildungsangebot wurde kontinuierlich erweitert und modernisiert. Ab den 1950er Jahren erlebte das belgische Bildungssystem mehrere Reformen. Die Einführung des Niederländischen als Unterrichtssprache beeinflusste den internationalen Ruf der Schule. In dieser Zeit wurde das Internat geschlossen und nur noch die Schule weitergeführt. Inzwischen werden auch Jungen am Institut aufgenommen.
Neue Herausforderungen
1987 wurde der Wintergarten aufgrund seines außergewöhnlichen historischen, künstlerischen und architektonischen Wertes unter Denkmalschutz gestellt. Die Entscheidung gegen den Abriss des Gebäudes erwies sich als richtig, da die offizielle Anerkennung zu einer veränderten Wahrnehmung des Geländes führte.
Um den Erhalt des Gebäudekomplexes zu sichern, gründeten die Schwestern 1994 den Erhaltungsverein Vzw Wintertuin. Diese Organisation widmet sich der Erhaltung und Restaurierung des Instituts und der Öffnung der monumentalen Teile für die Öffentlichkeit. 2015 übertrugen die Ursulinen ihr Erbe an eine Stiftung, die die zukünftige Erhaltung des Anwesens sicherstellt.

Was ist der Jugendstil?
Der Jugendstil, international auch als „Art Nouveau“, „nieuwe kunst“ (niederländisch), „Modernismo“ (spanisch) und „Stile Liberty“ (italienisch) bekannt, war eine prägende Kunstbewegung, die sich im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert in Europa etablierte. Jede Region entwickelte ihre eigene Interpretation des Stils. In Belgien erlangte der Jugendstil besondere Bedeutung durch Victor Horta, Henry van de Velde und Paul Hankar, die beeindruckende Gebäude und Möbelstücke in diesem Stil schufen.

Ein zentrales Merkmal des Jugendstils ist die Verwendung von geschwungenen Linien und Ornamenten, inspiriert von der Flora und Fauna. Diese ästhetische Bewegung erstreckte sich über verschiedene Kunstdisziplinen, darunter Architektur, Malerei, Grafikdesign und angewandte Kunst. Elemente wie kunstvolle Glasfenster, geschwungene Eisenarbeiten sowie detailreiche Mosaike und Fliesen prägten die Architektur jener Epoche.
Heute wird die Kunstbewegung noch für ihre Eleganz und Originalität bewundert. Viele der Gebäude und Kunstwerke aus dieser Zeit ziehen weiterhin viele Enthusiasten an.
Besuch des historischen Ursuline-Institutes
Vom Parkplatz aus betritt man das Gebäude durch einen unscheinbaren Eingang. Wer gerne die bezaubernde Welt des ehemaligen Mädchenpensionats in Onze-Lieve-Vrouw-Waver erleben möchte, muss vorab online seine Eintrittskarte buchen. Es ist immer nur eine begrenzte Anzahl von Besuchern zugelassen und das ist auch sehr gut, so kann man den Rundgang wirklich genießen!
Der Wintergarten und die Räume, die man heute besichtigen kann, sind erst seit 2023 nach längerer Renovierung wieder öffentlich zugänglich. Es ist ein neuer „Erlebnispfad“ entstanden, der mit multimedialen Anwendungen die Geschichte und Architektur begreifbar macht.
Wir haben den Rundgang mit Hilfe eines Audioguides unternommen. Dieser ist zwar nicht in deutsch erhältlich, aber die englischen Ausführungen sind wirklich sehr gut zu verstehen. Fast der gesamte Text wird aus der Sicht eines Mädchens erzählt, die als Schülerin das Mädchenpensionat besucht hat. Vom ersten Tag bis zu den Erlebnissen vor Ort hat mich die Geschichte gefesselt. War es doch fast wie ein historischer Roman, der allerdings das tatsächliche Leben im Internat darstellte.

Wir beginnen den Rundgang in zwei stilvoll eingerichteten Räumen. Gediegene und schwer wirkende Möbel vermitteln den Eindruck der Bodenständigkeit. An einigen Wänden entdecke ich traumhaft schöne Wandgemälde, die recht eindeutig auf den kirchlichen Hintergrund verweisen. In der Mitte des ersten Raums steht – und es wirkt wie ein Fremdkörper – ein moderner multimedialer Tisch. Hier kann ich mit Hilfe eines Audioguides zusätzliche Informationen zum Bau erfahren.
Ich muss zugeben, die ersten Räume waren zwar interessant, mich zog es aber zum eigentlichen Highlight des Rundganges.
Wintergarten der Ursulinen
Durch einen schmalen Gang gehend, der zum hinteren Eingang des Wintergarten der Ursulinen führt, erreiche ich eine unscheinbare geöffnete Tür. Ein Schritt später stehe ich wie angewurzelt da und weiß kaum wohin ich zuerst gucken soll.

Vor mir stehen Palmen und andere wärmeliebende Pflanzen, kleine Stühle und Tische laden zum Verweilen ein und über mir erhebt sich eine prächtige Bleiglaskuppel, wie ich sie noch nie gesehen habe. Das Licht schimmert durch das farbige Glas und egal wohin ich gucke, es wirkt fast magisch und sieht immer wieder anders aus.

Im Wintergarten scheint es das ganze Jahr über Frühling zu sein. Die Temperaturen sind relativ konstant und die zum Teil recht großen Topfpflanzen, ein plätschernder Springbrunnen und kunstvoll gefertigte Statuen geben dem Raum einen mediterranen Flair.
Dieser wird verstärkt durch die im Glaswerk dargestellten Pflanzen und Tiere. Das warme Licht, dass durch das bunte Glas erzeugt wird macht das Frühlingsgefühl komplett. Zwischen den Pflanzen fällt mein Blick auf die Wände. Wunderschöne Wandmalereien in warmen Farbtönen sind auf den Wandfliesen zu sehen.

Erst spät fällt mein Blick auf den historischen Kachelboden, auf dem ich gerade stehe. Es ist fast schade, dass der Blick fast magisch zu den Glasfenstern geht, der Boden ist auch sehenswert. Bei der Restaurierung der Anlage hat man jede Kachel einzeln entfernt und zu neuem Glanz aufgearbeitet. Diese Kacheln sind aufgrund des wärmespeichernden Materials auch ein Grund, warum die Temperaturen im Wintergarten der Ursulinen sehr angenehm sind.


Der Wintergarten entstand 1900 und bis heute weiß man nicht, wer der Architekt ist. Die Ursulinen ließen die bunte Bleiglaskuppel errichten, um ihrem Internat einen ganz besonderen Raum zu geben. Sie wollten mit diesem damals modernen und extravaganten Stil wohlhabende Familien begeistern, die ihre Töchter in die Hände der schulischen Ausbildung der Ursulinen legen wollten. Es scheint funktioniert zu haben. Der Raum bildete das Herzstück des Internats und wurde damals primär als Empfangsbereich für internationale Gäste des Ursulinen-Internats genutzt. Er diente aber auch als imposanter Ort für Empfänge und Urkundenübergabe bei Abschluss der Schülerinnen.

Seit 1987 steht der Wintergarten unter Denkmalschutz. Er wird bis heute von der Schule genutzt und so darf man sich hier auch ruhig auf einem Stuhl niederlassen und dieses unglaubliche Zusammenspiel der unterschiedlichen Elemente bewundern.
Was gibt es noch zu sehen?
Mit dem festen Vorsatz noch einmal am Ende des Rundganges in dieser Oase vorbei zu schauen setzten wir unseren Weg fort. Es gibt noch so einiges zu entdecken.


Die Räume, die heute bei der Tour mit dem Audioguides angesteuert werden, sind mit zum Teil recht langen Korridoren miteinander verbunden. Einer dieser Korridorre ist mir sehr nachhaltig in Erinnerung geblieben. Der Empire-Korridor ist ein lichtdurchfluteter Gang. Hier sind die Fenster besonders schön gestaltet und mir fallen die ins Glas geätzten dekorativen Elemente sofort ins Auge.

Wir betreten einen Raum, der sich Alpinzimmer nennt. Hier trafen die Schülerinnen ihre Eltern, wenn diese zu Besuch kamen. An den Wänden befinden sich die Wandmalereien, die dem Raum den Namen gaben: Berglandschaften, die alle Schweizer Region repräsentieren. Ich frage mich warum hat man dieses Thema in einem Internat in Belgien gewählt? Im Raum stehen gediegene Salonmöbel, die bei mir wenig Gemütlichkeit aufkommen lassen. Aber das war sicherlich auch nicht der Wunsch der Nonnen. Hier sollten die Mädchen ihren Eltern auf akkurate Art und Weise zeigen, dass sie Bildung erfahren und lernen sich in der Gesellschaft zu bewegen.

Die ursprüngliche neoklassizistische Kapelle der Schule reichte aufgrund der wachsenden Schülerzahlen bald nicht mehr aus. Heute finden hier Konzerte statt. Besonders schön finde ich die Klappstühle, auf denen einst die Nonnen saßen, beziehungsweise standen. Während der Andachten gab es immer wieder lange Passagen, in denen sie stehen mussten. Kleine Stützen halfen ihnen dabei diese Zeit zu überstehen. Jede Nonne hatte ihren festen Platz. Es gibt bei den Sitzen kleine Klappen, hinter denen sie ihre persönlichen Bibel/Gesangbücher legen konnten.


In einem weiteren sehr bemerkenswerter Raum befindet sich die naturkundliche Sammlung der Schule. In großen Glasvitrinen stehen zum Beispiel Tiermodelle. Diese stammen zum Teil noch aus den Beständen der Ursulien, sind also recht alt.

Bevor wir uns zurück in den Wintergarten der Ursulinen begeben, kommen wir noch durch den ehemaligen Speisesaal des Internates. Hier endet auch der Audiorundgang.

Was für ein Besuch!
Mir fehlen ehrlich gesagt die Worte, um den Wintergarten der Ursulinen so beschreiben zu können, wie er es verdient hat. Für mich einer der schönsten architektonischen Orte im Jugendstil, die ich bisher gesehen habe. Der Besuch lohnt sich auf jeden Fall und man sollte ruhig etwas Zeit einplanen, um alles in Ruhe entdecken zu können.
Besucherinformationen
Adresse
Bosstraat 9
2861 Onze-Lieve-Vrouw-Waver
Belgien
Anfahrtsmöglichkeiten
Mit öffentlichen Verkehrsmitteln
Vom Bahnhof Mechelen fährt der Bus Nr. 510 oder Nr. 511 bis zur Haltestelle ‘Onze-Lieve-Vrouw-Waver Kerk’. Von dort erreicht man in etwa 200 m den Eingang des Wintergartens.
Mit dem Fahrrad
Der Wintergarten befindet sich am Radwegknotenpunkt 36 des Radwegenetzes.
Mit dem Auto
Das Institut der Ursulinerinnen befindet sich in Onze-Lieve-Vrouw-Waver.
Von Mechelen ist der Wintergarten etwa 11 km entfernt. Von Antwerpen benötigt man für die 35 km etwa 40 Minuten mit dem Auto. Von Brüssel fährt man gut 50 Minuten.
Parken
Sie können in der Nähe des Eingangs gebührenfrei parken.
Öffnungszeiten
März-November
Freitag-Sonntag: 12.30 – 17 Uhr
Eintrittsptreise
Erwachsene: 13,- €
Es gibt einen Audioguides in mehreren Sprachen, der in etwa 1,5 Stunden durch die Räume führt. Sonntags besteht die Möglichkeit an einer kostenpflichtigen Führung teilzunehmen. Während der Führung kann man Räume besichtigen, die beim eigenständigen Rundgang nicht zugänglich sind.
Die Anzahl der Tickets ist begrenzt und man sollte sie unbedingt vorab online kaufen.
Barrierefreiheit
Das Gelände ist barrierefrei und verfügt über eine angepasste Toilette.
Der Rundgang liegt größtenteils im Erdgeschoss. Die Sehenswürdigkeiten in der ersten Etage sind nicht für Rollstuhlfahrende zugänglich, können aber auf einem Tablet hautnah erlebt werden.
Es gibt in dem Gebäude keinen Aufzug. Während des Rundgangs sind etwa rund 100 Treppenstufen zu bewältigen.
Für blinde und sehbehinderte Menschen wird ein Audioführer angeboten. Ein Fühlmodell ist vorhanden. Blindenhunde und Assistenzhunde sind willkommen.
Gut zu wissen
Der Wintergarten befindet sich im Ursulinen-Institut in Onze-Lieve-Vrouw-Waver in Belgien. Er wurde 1900 im Jugendstil erbaut und diente als Empfangsraum im Internat für die Töchter wohlhabender Familien aus aller Welt.
Der Wintergarten ist von großer historischer Bedeutung, da er für den innovativen Ansatz der Ursulinenschwestern bei der Integration von Kunst und Architektur in Bildungsumgebungen steht. Er war Teil einer Bewegung zur Schaffung anregender Bildungsräume, die sich an der Philosophie der „art à l’école“ orientierte. Der Bau des Wintergartens im Jahr 1900 fiel mit der Erweiterung des Ursulinen-Instituts zusammen, das 1841 gegründet worden war, um Mädchen aus der Umgebung eine Ausbildung zu ermöglichen – ein damals neues Konzept.
Der Wintergarten ist ein Paradebeispiel für die Architektur des Jugendstils, der zur Zeit seiner Errichtung im Jahr 1900 als hypermodern und avantgardistisch galt. Dieser Stil zeichnet sich durch die Verwendung natürlicher Formen und die Einbeziehung natürlicher Elemente in die Gestaltung aus.
Die Identität des Architekten, der den Wintergarten entworfen hat, ist trotz seiner architektonischen Brillanz unbekannt geblieben.
Die Eintrittskarten müssen vorab online gebucht werden. Es stehen zu den Öffnungszeiten immer nur eine begrenzte Anzahl von Eintrittskarten zur Verfügung.
Der Rundgang mit dem Audioguides dauert etwa 1,5 Stunden.
Hunde sind im gesamten Gebäudekomplex nicht gestattet. Nur Begleit- und Assistenzhunde sind zugelassen.
Es gibt einen kostenfreien Gardrobenbereich mit Schließfächern. Dort müssen auch große Taschen, Regenschirme und Rucksäcke während des Besuches abgeben werden.
Der Besuch im Wintergarten der Ursulinen fand im Rahmen einer Pressereise mit Visit Mechelen statt.
Schreibe einen Kommentar