Herrnhut ist ein Ort in der sächsischen Oberlausitz, an dem alles einer klaren, friedlichen Ordnung folgt. Ein Ort, dessen schlichte Barockarchitektur, dessen Alltag und sogar dessen Friedhof von den Ideen der Gemeinschaft, des Glaubens und der Gleichheit geprägt sind. Bis im Sommer 2024 diese stille Welt endlich ihre globale Anerkennung erhielt.
Das UNESCO-Welterbekomitee tagte und traf eine Entscheidung, die von nun an diesem Ort einen weltweit anerkannten Status verlieh: Herrnhut wurde, gemeinsam mit den brüderischen Siedlungen Christiansfeld in Dänemark, Bethlehem in Pennsylvania und Gracehill in Nordirland, in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen.
Bei einer Reise nach Herrnhut habe ich gelernt, dass von hier aus eine faszinierenden Idee die die ganze Welt erreichte. Die geistliche und kulturelle Bewegung der Herrnhuter Brüdergemeine.
Vom Zufluchtsort zum globalen Netzwerk
Die Geschichte Herrnhuts ist geprägt von Flucht, Glaube und Neuanfang. Sie beginnt im 15. Jahrhundert mit dem böhmischen Reformator Jan Hus. Dieser hatte gegen Missstände in der Kirche gepredigte und war dafür 1415 als Ketzer verbrannt worden. Aus seiner Lehre entstand 1457 die „Unitas Fratrum“, die Einheit der Brüder. Diese Gemeinschaft, auch als Böhmische Brüder bekannt, gilt als eine der ältesten protestantischen Kirchen überhaupt.

Diese Gemeinschaft wurden über Jahrhunderte verfolgt. Anfang des 18. Jahrhunderts war ihre Lage aussichtslos. Auf der Suche nach einer neuen Heimat sandten sie den Zimmermann Christian David aus, um einen Zufluchtsort zu finden. Das Schicksal führte ihn zum jungen Grafen Nikolaus Ludwig von Zinzendorf. Der tiefgläubige Adlige gewährte den Flüchtlingen ab 1722 Asyl auf seinem Gut in der Oberlausitz. Sie gründeten eine Siedlung und gaben ihr den programmatischen Namen Herrnhut („unter dem Schutz des Herrn“). Hier verschmolzen die alten Traditionen der Brüder mit den Ideen Zinzendorfs. Es entstand eine einzigartige Gemeinschaft, die Herrnhuter Brüdergemeine.

Das vielleicht bemerkenswerteste Kapitel der Herrnhuter Geschichte begann nur zehn Jahre nach der Gründung des Ortes. Von dieser kleinen Gemeinschaft von Flüchtlingen ging eine weltweite Missionsbewegung aus. Es wurde zum erklärten Prinzip der Herrnhuter Mission, sich jenen Menschen zuzuwenden, um die sich sonst niemand kümmerte.
Heute zählt die weltweite Brüder-Unität über 1,2 Millionen Mitglieder in mehr als 40 Ländern. Die kleine Stadt in der Oberlausitz ist so zur Muttergemeinde einer globalen Familie geworden.


Weltweite Bekanntheit erlangten die Herrnhuter durch die Losungen. Seit 1728 wird für jeden Tag ein Vers aus dem Alten Testament ausgelost und ihm ein passender Lehrtext aus dem Neuen Testament zugeordnet. Diese Sammlung täglicher Bibelworte wird bis heute in über 50 Sprachen übersetzt und verbindet Christen auf der ganzen Welt.
Das Zinzendorf-Schloss: Wo alles begann
Wenn man durch die malerische Allee von Herrnhut nach Berthelsdorf spaziert, erwartet einen das Zinzendorf-Schloss. Es ist kein Protzbau, der einen einschüchtert, sondern ein Gebäude von edler Schlichtheit. Hier prägte Graf Zinzendorf ab 1722 den sogenannten „Herrnhuter Barock“: eine Architektur, die nicht Reichtum zur Schau stellt, sondern Klarheit und Harmonie ausstraht.

Das Schloss war mehr als nur der Wohnsitz des Grafen. Es wurde zum geistlichen und administrativen Zentrum, zum „Jüngerhaus“. Von 1791 bis 1913 hatte hier die Unitäts-Aeltesten-Conferenz (die Kirchenleitung der weltweiten Brüder-Unität) ihren Sitz. Genau hier wurden über ein Jahrhundert lang die Herrnhuter Losungen gezogen. Bei der Sanierung wurde eine Tür freigelegt, die mit alten Bibel- und Liedversen bemalt ist. Vielleicht die eigentliche Inspiration für diese wunderbare Tradition, die bis heute Millionen Menschen täglich verbindet.

In der DDR-Zeit dem Verfall preisgegeben, schien das Schicksal des Schlosses besiegelt. Doch dann geschah ein kleines Wunder: Kurz vor dem endgültigen Zusammenbruch gründete sich 1998 der „Freundeskreis Zinzendorf-Schloss Berthelsdorf“. Der Freundeskreis machte es sich zur Aufgabe, dieses Denkmal zu retten. Man kann die Energie und Leidenschaft spüren, die sie in diese Arbeit noch immer stecken – ich würde sagen, es hat sich gelohnt!

Schlosserkundung
Heute erstrahlt das Zinzendorf-Schloss wieder in altem Glanz und kann zu bestimmten Zeiten besucht werden. Wenn man durch die Tür tritt, betritt man keinen kalten musealen Ort, sondern ein Haus, das wieder lebt. Besonders unvergesslich ist der Moment, wenn man die Treppe zur Beletage im ersten Stock hinaufsteigt.

Der Anblick der prachtvollen barocken Stuckdecken hat mir den Atem geraubt. Man spürt sofort, warum diese Räume heute die perfekte Kulisse für Konzerte, Lesungen oder private Feiern sind. Schließt man die Augen und kann fast die Musik hören, die hier gespielt wird.


Mir fielen in einem der Räume sofort zwei prachtvolle Fayence-Öfen aus dem 18. Jahrhundert ins Auge. Diese standen einst im Kloster St. Marienthal und wärmten dort die Bewohner. Besonders schön sind auch die kleinen unscheinbaren Details wie Wandmalereien, Nischen in Mauern oder Bilder in den musealen Räumen. Es lohnt sich diese zu entdecken und vor allem sich etwas darüber erzählen zu lassen!
Der Kirchensaal das geistliche Herz
Der Große Kirchensaal am Zinzendorfplatz ist das geistliche Herz der Herrnhuter Brüdergemeine. Das Gebäude wird von der Gemeinde bewusst nicht „Kirche“, sondern „Saal“ genannt, um seinen Charakter als schlichter Versammlungsort der Gemeinschaft zu betonen.
Mein erster Eindruck beim Betreten ist überwältigend: ein riesiger, lichter Raum, komplett in Weiß getaucht. Das hatte ich nicht erwartet und bisher auch noch nicht gesehen.

Der Innenraum ist ein großer, quer ausgerichteter Saal. Die Farbe Weiß gilt als Farbe der Freude, der Reinheit und der Hoffnung. Es gibt keinerlei Bilder, Statuen oder prunkvolle Verzierungen, die vom Wort Gottes und der versammelten Gemeinde ablenken könnten. Altar, Kanzel und Taufstein fehlen gänzlich. Stattdessen steht vorne ein einfacher Tisch, und der Pfarrer sitzt auf Augenhöhe mit den Anwesenden.
Die Sitzordnung im Saal unterstreicht das Prinzip der Gleichheit und Ordnung. Die Bänke sind schlicht und beweglich. Der Raum ist streng symmetrisch in eine „Brüderseite“ und eine „Schwesternseite“ gegliedert. Früher saßen die Gläubigen auch noch auf den „richtigen“ Seiten. Heute wird diese Sitzordnung nicht mehr ganz so streng beachtet.

Der heutige Große Saal wurde in den Jahren 1756 und 1757 errichtet, nachdem der erste Versammlungsraum für die wachsende Gemeinde zu klein geworden war. Fast 200 Jahre lang war er das Zentrum des geistlichen Lebens. In der Nacht vom 8. auf den 9. Mai 1945 brannte bei einem Feuer der gesamte historische Ortskern mitsamt dem Kirchensaal ab.
Der Wiederaufbau des Saals erfolgte zwischen 1951 und 1953. Die Gemeinde konzentrierte ihre knappen Ressourcen auf die Wiederherstellung ihres geistlichen Zentrums. Das alte Gemeinhaus hat man nicht wiederaufgebaut; an seiner Stelle befindet sich heute der Kirchgarten mit einem kleinen Glockentürmchen, das als Mahnmal an die Zerstörung erinnert.
Bis heute ist der Saal mit seinen rund 600 Plätzen der aktive Mittelpunkt des Gemeindelebens.
Gleichheit im Tode: Der Herrnhuter Gottesacker
Friedhöfe spiegeln das wider, woran die Menschen glauben, wie sie leben und gehören für mich zu den interessantesten Orten an denen ich immer viel erfahre. Der Herrnhuter Gottesacker erzählt eine der ungewöhnlichsten Geschichten. Er wurde 1730 angelegt und bricht mit allen damals üblichen Konventionen. Hier gibt es keine prunkvollen Grabmäler, keine Statuen, keine Hierarchien. Der Name „Gottesacker“ ist Programm: Die Verstorbenen werden wie eine Saat in Gottes Feld gelegt, um auf die Auferstehung zu warten.

In Herrnhut herrscht eine betonte Schlichtheit. Alle Grabsteine sind aus einfachem Sandstein, haben eine einheitliche Größe und liegen flach auf den Gräbern. Es gibt keine aufrechten Steine, keine Kreuze, keine Statuen. Die Inschriften auf den Steinen sind auf das Allernötigste reduziert: Name, Geburts- und Sterbedatum, der Geburtsort und ein kurzer, persönlich ausgewählter Bibelvers, das sogenannte „Versel“. Adelstitel, akademische Grade oder Berufsbezeichnungen fehlen konsequent, um die absolute Gleichheit aller Menschen vor dem Tod zu unterstreichen.
Die Anordnung der Gräber folgt einer strengen Ordnung. Es gibt keine Familien- oder Ehegräber, denn im Tod tritt der Einzelne vor Gott, und die Gemeinschaft der Gläubigen ersetzt die irdische Familienbande. Die Beisetzung erfolgt streng getrennt nach Geschlecht auf der „Brüderseite“ und der „Schwesternseite“ und in der chronologischen Reihenfolge des Todestages. Eine der wenigen Ausnahmen von dieser strengen Regel bilden die Gräber von Graf Zinzendorf und seiner Familie, die an prominenter Stelle entlang des Hauptweges liegen.

Ich finde die Gestaltung des Friedhofs interessant. Als ortsunkundiger Besucher müsste ich, wenn ich das Grab eines bestimmten Menschen suchen würde, viele Reihen abgehen. Es gibt keine wirklichen optischen Orientierungspunkte, keine unterschiedliche Grabgestaltung – nur eine Wiese mit liegenden Grabsteinen. Hier kann man wirklich von Gleichheit sprechen.
Ein Spaziergang durch die stillen Reihen dieses Friedhofs ist eine tief bewegende Erfahrung. Er ist der vielleicht ehrlichste Ort in Herrnhut , ein Manifest der Gleichheit, in Stein gemeißelt.

Noch mehr Sehenswürdigkeiten in Herrnhut
Die kleine Stadt bietet ihren Besuchern aber noch viel mehr.
Das Heimatmuseum: Eine Zeitkapsel in der Biedermeierzeit
Mein Tipp für jeden Besucher in Herrnhut: ein Besuch im Heimatmuseum! Das Heimatmuseum Herrnhut zeigt einen Einblick in die Alltags- und Wohnkultur der Gemeinschaft im 19. Jahrhundert.
Wie durch ein Wunder überstand ein einziges Wohnhaus den verheerenden Stadtbrand von 1945. Heute ist dieses Haus das Heimatmuseum Herrnhut und damit selbst das wichtigste Exponat.

Ich betreten eine weitgehend original erhaltene bürgerliche Wohnkultur der Biedermeierzeit. Hier bekomme ich einen Eindruck vom Leben in Herrnhut vor rund 200 Jahren vermittelt. Die knarrenden Dielen der „Alt-Herrnhuter Stuben“ bringen mich in eine andere Welt. Die erlesenen Biedermeiermöbeln, handbedruckten Tapeten und historischen Öfen entführen mich direkt ins 19. Jahrhundert zurück. Bei einigen Exponaten denke ich unweigerlich an die Wohnung meines Großvaters, hatte er nicht auch so einen Teppich?
Die Sammlung birgt Schätze, darunter Porträts des berühmten Malers Anton Graff und detaillierte Ortsansichten auf seltenen Lacktabletts. Ein besonderes Highlight sind Bilder aus Menschenhaar. Wenn ich es nicht gesagt bekommen hätte, wären mir die filigrane Bilder, nicht aufgefallen. Was für eine Fingerfertigkeit!

Die Herrnhuter Sterne Manufaktur
Ein Besuch in der Schauwerkstatt gehört zu einem Aufenthalt in Herrnhut einfach dazu. Hier werden in der die weltberühmten Herrnhuter Sterne von Hand gefertigt. Hier erfahren Sie alles über die Geschichte und Herstellung des berühmten Adventssymbols. In unserem Beitrag über den Herrnhuter Stern erfahren Sie nicht nur die Entstehungsgeschichte, sondern erhalten auch einen Einblick in die Manufaktur.

Der Altan auf dem Hutberg
Ein kleiner Aussichtsturm, der einen fantastischen Panoramablick über den Gottesacker, die Stadt Herrnhut und die sanften Hügel der Oberlausitz bis hin zum Zittauer Gebirge bietet, ist auf jeden Fall einen Besuch wert.



Das Völkerkundemuseum
Das Museum zeigt eine beeindruckende Sammlung von Objekten, die Herrnhuter Missionare aus aller Welt mitbrachten.
Übernachten in Herrnhut
Eine stilechte Unterkunft finden Sie im KOMENSKÝ Gäste- und Tagungshaus, das zur Brüdergemeine gehört und Gastfreundschaft im besten Herrnhuter Sinne pflegt.
Restauranttipp: Café “Bei Sterns”
Direkt in der Schauwerkstatt der Herrnhuter Sterne Manufaktur gelegen, perfekt, um den Besuch mit Kaffee und Kuchen oder einem herzhaften Gericht abzurunden.

Der Besuch in Herrnhut fand im Rahmen einer Pressereise statt.
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