In der sächsischen Stadt Hohenstein-Ernstthal befindet sich eine Kultureinrichtung, deren thematische Ausrichtung auf den ersten Blick paradox erscheint: das Textil- und Rennsportmuseum. Hier treffen zwei scheinbar unvereinbare Welten – die jahrhundertealte Tradition der Textilherstellung und die adrenalintreibende Geschichte des Hochgeschwindigkeits-Motorsports aufeinander.
Aber wie kommt es zu dieser ungewöhnlichen Kombination? Blickt man etwas genauer in die Geschichte der Region ergibt sich die Antwort fast von alleine. Doie Region ist geprägt durch die rund 500-jährige Geschichte des Textilgewerbes und fast ein Jahrhundert von Rennsport auf dem legendären Sachsenring.

Ich war sehr gespannt darauf, was mich in Hohenstein-Ernstthal erwarten würde.
Vom Fabrikerbe zum Publikumsmagneten: Die Geschichte des Museums
Die Geschichte des Textil- und Rennsportmuseums ist die Geschichte einer Rettungsaktion. Das Museum befindet sich in einem fünfstöckigen ehemaligen Fabrikgebäude aus dem 19. Jahrhundert.
Die Ära C. F. Jäckel: Wachstum und Modernisierung
Im Jahr 1879 erwarb der Unternehmer Carl Ferdinand Jäckel das Grundstück in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof. Bereits 1878 hatte er seine Firma handelsgerichtlich zur Herstellung von Bett-, Tisch- und Diwandecken eintragen lassen.
Die folgenden Jahrzehnte waren von stetigem Wachstum und technologischer Modernisierung geprägt. Der entscheidende Schritt zum maschinellen Fabrikbetrieb wurde 1897 vollzogen, als man die ersten sechs mechanischen Webstühle der Chemnitzer Firma Schönherr aufgestellte. Weitere Meilensteine waren die Elektrifizierung der Fabrik im Jahr 1903 und die Errichtung eines Kesselhauses mit einer 100-PS-Dampfkraftanlage und einem markanten 38 Meter hohen Schornstein im Jahr 1907. Zu DDR-Zeiten wurde der Betrieb in den Volkseigenen Betrieb (VEB) Möbelstoff- und Plüschwerke Hohenstein-Ernstthal integriert und setzte seine Produktion fort.

Eine Rettungsaktion in letzter Minute
Die politische Wende von 1989 und die darauffolgende wirtschaftliche Umstellung bedeuteten für viele Betriebe der ehemaligen DDR das Aus. Auch die Möbelstoff- und Plüschwerke Hohenstein-Ernstthal war davon betroffen. Mit dem Beginn der Liquidation drohte das unschätzbar wertvolle Erbe der traditionellen Jacquardwebereien der Region für immer verloren zu gehen. Maschinen, historische Musterbücher, Entwurfszeichnungen und technische Unterlagen standen kurz vor der Verschrottung und Vernichtung.

In dieser Phase entstand eine bespiellose Rettungsaktion. Privatpersonen durchsuchte die Produktionsstätten der vier Werke und sicherte unzählige wertvolle Sachzeugen, indem sie diese mit dem Vermerk „Textilmuseum“ versah und so vor der Vernichtung bewahrte.
Von der Idee zur Eröffnung
Recht schnell fanden sich Verbündete und im September 1992 kam es zur Gründung des Fördervereins „Textil- und Heimatmuseum Hohenstein-Ernstthal e. V.“. Dieser Verein wurde zum Träger der Museumsidee.
Die Stadt Hohenstein-Ernstthal fasste im März 1994 den Beschluss, ein städtisches Textil- und Heimatmuseum aufzubauen und dafür eine geeignete Industrie-Immobilie zu erwerben. Die Wahl fiel auf die ehemalige Mechanische Weberei C. F. Jäckel.

1995 wurde das „Textil- und Heimatmuseum“ feierlich eröffnet. Die Sammlung konnte man in den folgenden Jahren kontinuierlich erweitern. Im Jahr 2000 wurde die Ausstellung um den Bereich Rennsportgeschichte des Sachsenrings ergänzt, was 2001 zur Umbenennung in den heutigen Namen „Textil- und Rennsportmuseum“ führte.
Der Stoff einer Region: Die faszinierende Textilsammlung
Auf einer Ausstellungsfläche von rund 1.400 Quadratmetern gibt es richtig viel zu sehen! Bei meinem Besuch habe ich mir alles rund um das Thema Jacqardweberei und natürlich zum Rennsport angesehen.
Vom Lochkarten-Code zum Kultobjekt: Die Jacquardweberei
Die Schauwerkstatt zur Jacquardweberei ist wirklich sehr beeindruckend. Mein Tipp: Hier lohnt es sich an einer Führung teilzunehmen. Dann erlebt man die riesigen Maschinen in Aktion und erfährt viel über den Produktionsprozess. Die öffentlichen Vorführungen der historischen Jacquardwebmaschinen finden regelmäßig an jedem 4. Sonntag im Monat statt

Mich hat besonders die revolutionäre Technik des Joseph-Marie Jacquard aus dem frühen 19. Jahrhundert begeistert. Die funktionstüchtige historische Maschinen arbeiten in einer enormen Lautstärke. Wie haben die Arbeiter dieses nur ausgehalten – der Lärm ist wirklich „ohrenbetäubend“.

Sehr spannend finde ich die Lochkarten-Technologie, die für die Programmierung der Webstühle genutzt wurde. Sie gilt heute als direkten Vorläufer der modernen Computertechnik. Auf den Lochkarten ist ein komplexes Muster zu sehen. Das binäres System aus „Loch“ oder „kein Loch“ stellt quasi das Muster des Stoffes dar. Um die Komplexität zu veranschaulichen: Für die Herstellung eines einzigen Wandbildes waren bis zu 7.000 Lochkarten mit insgesamt neun Millionen Musterstellen (Pixeln) notwendig.
Sächsische Stoffe für die Welt: Von IKEA bis zum „Röhrenden Hirsch“
Die Produktpalette der „Hohensteiner Deckenweber“, die um 1900 ein Begriff für Qualität waren, reichte von hochwertigen Möbelbezugsstoffen und Tischdecken bis hin zu kunstvollen Wandteppichen. Ein besonderes Produkt, das in der Ausstellung gewürdigt wird, ist der „röhrende Hirsch“. Dieser Art des Wandbehangs war in den Wohnzimmern meiner Großelterngeneration allgegenwärtig und gilt heute als Kultobjekt.

Die wirtschaftliche Bedeutung der lokalen Webereien war enorm. Sie waren nicht nur regional, sondern auch international erfolgreich und dienten zu DDR-Zeiten als wichtige Devisenbringer. So bestellte beispielsweise der schwedische Möbelkonzern IKEA bereits in den 1970er und 80er Jahren Stoffe „Made in GDR“.
Legenden vom Ring: Die Motorsport-Sammlung am Sachsenring
Wo der Geruch von Benzin in der Luft liegt und die Geister von Rennlegenden durch die Hallen wehen, da beginnt der Rundgang durch über 90 Jahre Rennsportgeschichte. Die Dauerausstellung zur Geschichte des Sachsenrings im Textil- und Rennsportmuseum in Hohenstein-Ernstthal ist eine Hommage an den legendären Kurs des Sachsenrings, der wie keine andere Rennstrecke die Identität einer ganzen Region geprägt hat. Auf den Spuren von Helden, waghalsigen Konstrukteuren und einer beispiellosen Fankultur wird hier die Bedeutung des Motorsports im Zwickauer Land lebendig.

Heldentum auf zwei Rädern: Als die Rad-WM den Sachsenring eroberte
Eine Szene, die so gar nicht nach Motorenlärm klingt, ist die Straßenrad-WM von 1960. Vor der beeindruckenden Kulisse von rund 150.000 Zuschauern wurde dieses Rennen zu einem der denkwürdigsten Momente der DDR-Sportgeschichte. Ich lese die Geschichte von Täve Schur, der hier auf den Sieg verzichtete, um seinem Freund Bernhard Eckstein den Weltmeistertitel zu ermöglichen. Diese Geschichte gehört zur Region und wird bis heute gerne erzählt.
Die Formel 1 des Ostens: Erfindergeist auf der Rennstrecke
Ein weiterer Schwerpunkt, der die Augen von Technik- und Geschichtsfans leuchten lässt, ist die sogenannte „Formel 1 des Ostens“. In einer Zeit, in der der internationale Motorsport durch den Eisernen Vorhang getrennt war, entwickelte sich im Ostblock eine eigene Rennszene, die „Formel Easter“.

Piloten und Konstrukteure bewiesen mit knappem Material und umso mehr Erfindergeist, dass die Leidenschaft für Geschwindigkeit keine Grenzen kennt. Zwischen all den faszinierenden Exponaten entdecke ich ihn, den Star der Schau: den Formel-Rennwagen MT 77. Man kann sich bildlich vorstellen, wie Ulli Melkus und die anderen Legenden mit diesem Wagen über den Kurs gefegt sind, angetrieben von einem Lada-Motor und purem Erfindergeist.

Mein Blick wandert weiter zu den Motorrädern. Die glänzenden Zweitakter von IFA-DKW und MZ stehen da, als warteten sie nur darauf, wieder auf die Strecke zu dürfen.
Mehr als nur ein Rennen: Camping, Kult und Fankultur
Die Inszenierung des “Drumherum” bei einem Rennen auf dem Sachsenring fand ich besonders klasse. Ein nachgebauter Campingplatz versetzt mich direkt in die 60er-Jahre.

Besucherinformationen
Adresse
Antonstraße 6,
09337 Hohenstein-Ernstthal
Anfahrt
Mit öffentlichen Verkehrsmitteln:
Das Museum befindet sich in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs von Hohenstein-Ernstthal und ist daher bequem mit dem Zug zu erreichen.
Parken
Das Museum verfügt über keine eigenen Besucherparkplätze. In der Umgebung stehen jedoch mehrere öffentliche Parkmöglichkeiten zur Verfügung. Die nächstgelegenen Parkplätze sind der Parkplatz “Am Bahnhof” und der Parkplatz Schützenstraße. In Eingangsnähe sind zudem gekennzeichnete barrierefreie Parkplätze vorhanden.
Öffnungszeiten
Dienstag–Freitag: 13–17 Uhr
Samstag–Sonntag: 10–17 Uhr
Montag: geschlossen
Eintrittspreise
Erwachsene: 5,00 €
Barrierefreiheit
Das Museum ist als „barrierefrei zu besuchen und behindertengerecht ausgestattet“ zertifiziert und somit für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen gut zugänglich.
Die Einrichtung bietet ausgewiesene Behindertenparkplätze, eine rollstuhlgerechte und barrierefrei zugängliche Toilette sowie die Erlaubnis, einen Assistenzhund mitzuführen. Inhaber eines Schwerbehindertenausweises können zudem eine Begleitperson kostenfrei mitbringen.
Der Besuch fand im Rahmen einer Pressereise statt.
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