In Görlitz findet man einige Überreste der historischen Stadtbefestigung. Uns haben besonders die Türme interessiert und so haben wir während unserer Turmtour den „Dicken Turm“ erkundet.
Der Dicke Turm oder Frauenturm steht heute mitten in der Stadt auf dem Marienplatz. Vor vielen Jahren war er einer von vier Wach- und Wehrtürmen in Görlitz, die der Verteidigung dienten. Seinen Namen erhielt der Turm aufgrund seiner Massivität und der dicken Mauern von den Görlitzern.
Dicker Turm – wissenswert
Um 1250 kam es aufgrund der Stadterweiterung in Görlitz zum Bau einer neuen Stadtbefestigung. Neben der Stadtmauer entstanden vier Türme (von denen heute noch drei erhalten sind: Nikolaiturm, Reichenbacher Turm, Dicker Turm/Frauenturm) und der Stadttore. Der Turm ist unter mehreren Namen bekannt: Steinturm, Frauenturm, Dicker Turm. Zusammen mit dem daneben liegendem Tor bildete er das Südportal der Stadt. Von dort kam man zum Frauenkloster vor der Stadt.
1529 bekam der damalige Wächter auf dem Turm eine Turmstube mit einer Kammer. Er musste im 12-Stunden-Dienst arbeiten und hatte als Aufgabe, nach Feuer und Feinden Aussicht zu halten. Zusätzlich musste er alle 15 Minuten kurz nach dem Ertönen der Rathausuhr die Glocke schlagen. In der Nacht kam ein Nachtwächter am Turm vorbei und vergewissere sich per Zuruf, dass der Turmwächter nicht schlief.
Im Laufe der Zeit veränderte man nach und nach die Schutzanlagen und baute sie zum Teil auch ab. So entfernte man zum Beispiel die Fallgatter, die inneren Tore und 1847/48 das Frauentor und die Brücke über den Graben. Auch den Graben schüttete man zu. Erst 1904 schaffte man die Stadtwächter auf den Türmen in Görlitz ab.
Sein Aussehen hat sich der Turm bis heute weitgehend bewahrt. Im 16. Jahrhundert schloss man den ursprünglich offene Umgang und die Kupferhaube des Daches wurde im Stil der Renaissance gefertigt.
Der Studententurm
Studenten der Ingenieur-Hochschule Görlitz-Zittau nutzten den Turm von 1974 bis zum Februar 1998.
Sie bauten im ersten Obergeschoss, in der ehemaligen Türmerstube, ein Café ein. Wurde es Abend, schloss das Café und im zweiten Geschoss des Turmes öffnete eine Disco ihre Türen. Hier wurde bis in die Morgenstunden getanzt und gefeiert.
Aufgrund von Brandschutzbestimmungen mussten die Studenten den Betrieb im Turm einstellen.
Von 2000-2006 stand der Turm ungenutzt in Görlitz. Seit dem Jahr 2007 bewirtschaftet der Förderverein Kulturstadt Görlitz-Zgorzelec den Dicken Turm und bietet regelmäßig Führungen an.
Turmtour „Dicker Turm“
Zur vollen Stunde starten die Touren in den Dicken Turm. Während wir warteten war ausreichend Zeit, den Turm von außen zu betrachten.
Vor uns steht ein massiver 46 Meter hoher weiß verputzter Turm. An einer Stelle befindet sich etwa 45 Zentimeter über dem Gehweg eine Tür, an einer anderen Stelle führt eine geschwungene Stahltreppe hoch zu einer weiteren Tür.
Hoch oben entdeckten wir ein Sandsteinrelief. Später erfuhren wir, dass dieses Relief das Wappen darstellt, dass der Kaiser Sigismund der Stadt verliehen hat, nachdem diese während der Hussitenkriege treu zur Krone gestanden hatte. Abgebildet ist neben dem Wappen auch Maria und die Heilige Barbara sowie der Schriftzug „Invia Virtuti Nulla Est Via“, was übersetzt so viel wie „der Tapferkeit ist kein Weg unmöglich“ heißt.
Ursprünglich war das Relief am Frauentor angebracht und fand 1856 seinen Platz am Turm.
Die Führung beginnt an der tiefer liegenden Tür. Nachdem ein Tritt für den besseren Einstieg vor die Tür gestellt wurde und wir unseren Eintritt bezahlt hatten, begann eine spannende und abwechslungsreiche Führung durch den Turm. Besonders schön war, dass sehr lebhaft zum Teil aus eigener Erinnerung, auch über die Nutzung des Turms zu DDR-Zeiten erzählt wurde.
Wir standen also nun im Turm und befanden uns in einem Raum, der einst Pulverkammer und Gefängnis war. Nur durch die Tür fiel etwas Tageslicht hinein, ich empfand den Raum als eng und sehr bedrückend. Kaum vorstellbar, dass dort zum Teil 8 Personen ohne Licht im Verließ gesessen haben sollen. Sollten sie geschrien haben, hat man dieses bei einer Mauerstärke von 5,34 Meter am Fuß des Turms mit Sicherheit nicht gehört.
Zum Glück war der Aufenthalt hier nur kurz und es ging über die Außentreppe auf der anderen Seite des Turms nun in den oberen Turmbereich. Insgesamt führen 138 Stufen bis zur obersten Plattform des Dicken Turms. Einige der Treppen sind inzwischen durch eine moderne Stahlkonstruktion ersetzt worden, andere noch aus Holz und recht ausgetreten.
Die Mauerstärke innerhalb des Turmes verjüngt sich nach oben immer weiter, so dass die Fläche für die Nutzung auch größer wird.
Als wir in der ersten Etage ankamen, stellte ich mir vor, wie hier früher das Café ausgesehen haben muss. Es gibt kleine Mauernischen unterhalb der Fenster, wenn dort Tische gestanden haben, war es bestimmt ein Traum dort zu sitzen und den Ausblick über Görlitz zu genießen. Von jedem der Turmfenster eröffnet sich einem ein anderer Blick auf die Stadt und man entdeckt die ein oder andere Sehenswürdigkeit.
Eine Treppe höher hinauf gestiegen steht man in der ehemaligen Disco oder, wenn man noch weiter zurück denkt, wohnte und arbeitete auch hier der Türmer. Über uns lagen die großen Dachbalken, eine Zwischendecke verschließt den Bereich, in dem die Glocken hängen. Auch hier findet man zahlreiche kleine Fenster, die sich öffnen lassen und so den Blick über die Stadt ermöglichen.
Neben vielen Geschichten rund um den Turm und Erklärungen zum Blick über die Stadt kann man einen Blick in eine nachgestellte Türmerküche und auf einige alte Bilder werfen. Für uns ein gelungener Turmaufstieg, der uns die Stadt etwas näher gebracht hat.
Adresse:
Marienplatz / Ecke Steinstraße
Görlitz
Öffnungszeiten:
Besuch nur mit einer Führung (Dauer 45 Minuten, Treffpunkt am Turm ohne Reservierung) möglich
Mitte März – Ende Dezember
Donnerstag-Sonntag: 12-17 Uhr (immer zur vollen Stunde)
Eintrittspreis:
Erwachsene: 4,00 €
Es werden Ermäßigungen angeboten
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