Ich stehe vor einem der beeindruckendsten Bauwerke der Stadt, der Großen Synagoge in Pilsen und freue mich darauf, sie zu besichtigen. Als ich das letzte Mal in Pilsen war, wurde hier restauriert – nun erstrahlt das Gebäude und sieht fast wie neu aus.
Die Große Synagoge in Pilsen oder auch Große Synagoge von Plzeň soll die zweitgrößte Synagoge in Europa und die drittgrößte weltweit sein. Da es aber keine einheitlichen Messungen oder Bestimmungen für diese Behauptung gibt, findet man auch Aussagen wie das drittgrößte „Gebäude seiner Art“ Europas und fünftgrößte der Welt. Mir ist es eigentlich egal, ob zweite, dritte oder vierte, die Synagoge ist auf jeden Fall groß und beeindruckend. Ich finde ein Besuch in dem Wahrzeichen der Stadt gehört bei einem Aufenthalt in Pilsen einfach dazu.
Geschichte des Großen Synagoge Pilsen
Die Synagoge wurde zwischen 1888 und 1893 im neoromanischen Stil mit maurischen Elementen erbaut. Dieser Stilmix war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Europa bei Synagogenbauten sehr beliebt.
Der Architekt Emanuel Klotz entwarf das beeindruckende Gebäude, das später von seinem Kollegen Matěj Blecha fertig erbaut wurde.
Die Große Synagoge wurde in einer Zeit errichtet, in der die jüdische Gemeinde in Pilsen wuchs und gedeihte. Das Bauwerk sollte nicht nur als religiöses Zentrum dienen, sondern auch die Stärke und den Beitrag der jüdischen Gemeinschaft zur Gesellschaft von Pilsen symbolisieren. Viele reiche Gemeindemitglieder finanzierten den Bau. Mit der Fertigstellung zog die Gemeine aus der inzwischen zu klein gewordenen Alten Synagoge in das neue Gotteshaus um.
Während des Zweiten Weltkrieges nutzte man die Synagoge als Lagerhalle für konfiszierten jüdischen Besitz. Das war mit Sicherheit ein guter Einfall, denn so überstand das Gebäude die Zeit fast unbeschädigt. Später richtete die Armee eine Art Nähwerkstatt für Uniformen der deutschen Soldaten in den Räumen ein. Die Türme dienten den deutschen Besatzern als strategische Punkte (zur Orientierung bei Überflügen), was die Große Synagoge vor der Zerstörung rettete.
Nach dem Krieg waren nur noch wenige Gemeindemitglieder in der Stadt vorhanden, die meisten waren geflohen oder in Konzentrationslagern getötet worden. Die Große Synagoge war den übrig gebliebenen Gemeindemitgliedern viel zu groß und sie konnte sie nicht mehr unterhalten. Zunehmend baufälliger, wurde sie schließlich geschlossen. 1973 fand der letzte Gottesdienst statt und von nun an traf sich die Gemeinde wieder in der Alten Synagoge.
Auch nach der Samtenen Revolution 1989 war es der Gemeinde noch immer nicht möglich, die notwendigen Mittel für die Erhaltung aufzubringen. Ab 1995, dann mit Hilfe der Stadt, begann man in zwei großen Etappen die Synagoge und das benachbarte Rabbinerhaus zu sanieren.
Seit 2022 erstrahlt das Gebäude nun von innen und außen im alten Glanz. Nicht nur die Touristen zieht es dort hin. Auch die Gemeinde nutzt die Große Synagoge wieder und zusätzlich finden dort zahlreiche Veranstaltungen statt. Besonders beliebt ist der Raum für Konzerte. Die Akustik ist einmalig und die Musik erfüllt den ganzen Raum.
Skulptur „Šlépěje“
Noch bevor ich die Große Synagoge in Pilsen betrete, entdecke ich die fast unauffällige Skulptur „Šlépěje“, was so viel wie Fußspuren heißt, auf den Stufen vor dem Gebäude.
Füße in unterschiedlichen Größen erinnern an den Transport der jüdischen Bevölkerung in die Vernichtungslager der Nationalsozialisten. Auf einer kleinen Gedenktafel, die auf einer Stufe angebracht ist, steht „Vergesst uns nicht“.
Schade, dass viele Besucher diese kleine und doch so bedeutende Stätte beim Weg in oder aus dem Gebäude übersehen, sagt sie doch so viel ….
Große Synagoge Pilsen – Einblicke
Wer die Großen Synagoge in Pilsen sucht, muss eigentlich nur nach den zwei etwa 45 Meter hohen Türme Ausschau halten. Diese sind eher ungewöhnlich, denn häufig haben Synagogen nur einen Turm. Noch ungewöhnlicher finde ich die roten Kuppeln der Türme, die mich eher an arabische Türme einer Moschee erinnern.
Auf dem Giebel der Großen Synagoge befinden sich zwei Tafeln in hebräischer Schrift. Dort sollen die Zehn Geboten stehen, lesen kann ich die Schrift leider nicht.
Nachdem man das Gebäude betreten hat, kann man an einem kleinen Ticketschalter seine Eintrittskarte kaufen. Bei meinem Besuch 2023 war es möglich, diese mit der Kreditkarte zu bezahlen.
Männer erhalten der jüdischen Tradition entsprechend eine Kippa, die sie während des Besuches tragen müssen. Diese sind natürlich nicht so robust, wie die eigene Kippa, die männliche Juden mitbringen. Bei jedem Schritt weht sie vom Kopf und so mancher Besucher bückt sich mehr in Richtung Boden, als den Blick zum Beispiel auf die wunderschöne Deckengestaltung zu richten. Was ist das Geheimnis, damit eine Kippa gut sitzt? Das ist überraschend einfach: Juden, die häufig eine Kippa tragen, kennen den richtigen Platz auf dem Kopf – direkt am Scheitel. Wer länger die traditionelle jüdische Kopfbedeckung trägt, kann, auch wenn es nicht gerne gesehen wird, eine kleine Haarspange nutzen. Ich habe sogar gelesen, dass einige Männer sich die Kippa mit Klebeband am Kopf fixieren, das kann ich mir allerdings kaum vorstellen.
Einem kleinen Gang folgend gelangte ich schließlich in den sehr großen Kirchenraum. Die Glasfenster, die das Licht in verschiedenen Farbtönen einfangen, erzeugen eine besondere Atmosphäre, die sowohl feierlich als auch einladend ist. Der Raum ist hell, wird aber zusätzlich noch von zahlreichen gold glitzernden Lampen erhellt.
Die Wände sind mit hebräischen Inschriften und anderen jüdischen Symbolen verziert. Die Deckengestaltung weist eindeutig maurische Stilelemente auf. Mir gefällt die Farbgestaltung, die den gesamten Raum sehr edel wirken lässt.
Über 2000 Besucher sollen auf den einfachen Holzbänken bei Veranstaltungen einen Platz finden.
In den oberen Galerien der Synagoge, die ich über eine Treppe erreiche, befindet sich eine Dauerausstellung mit dem Thema „Hier lebten Juden“. Ich muss zugegen, dass die Ausstellung mich weniger interessiert hat, dafür aber der Blick hinunter in den großen Raum der Synagoge umso mehr. Ich finde erst von dort oben macht sich die Höhe der Großen Synagoge in Pilsen wirklich bemerkbar. Obwohl ich ja schon hoch oben auf der Galerie stehe, scheint sich die Decke in weiter Ferne zu befinden.
Durch den Hinterausgang erreiche ich einen kleinen Hof. Dort befindet sich das zweistöckiges Rabbinerhaus, das im neuromanischen Stil erbaut wurde. Hier ist heute der Souvenirshop untergebracht. Der Eingang, der dort in die Synagoge führt ist zwar wesentlich schlichter, gefällt mir aber ausgesprochen gut.
Adresse:
sady Pětatřicátníků 11
301 00 Pilsen
Öffnungszeiten:
Sonntag – Donnerstag 10:00 – 17:00
Freitags und Samstags ist die Synagoge geschlossen.
Eintrittspreise:
Erwachsene: 120 CZK
Es werden Ermäßigungen angeboten.
Der Besuch in der Synagoge war ein Programmpunkt während einer Pressereise mit Visit Pilsen und der Region Pilsen — Abteilung für Tourismus und Institut für Informatik.
Dr. Klaus W. Hälbig
Auf dem Giebel befinden sich die Zehn Gebote auf den zwei Tafeln: 5 + 5, für die Gottesliebe (erste Tafel rechts) und die Nächstenliebe (zweite Tafel links), wie auch der Mensch zwei Hände, eine rechte und eine linke, mit je fünf Fingern hat. Rechte und linke Seite sind wie Gnade (Barmherzigkeit) und Recht (Gerechtigkeit), die immer zusammenwirken müssen und eine harmonische Einheit der Zweiheit bilden wie der Giebel zwischen den zwei Türmen. Dr. Klaus W. Hälbig, 17. April 2024.