Nein, wir waren nicht auf Wohnungssuche in Pilsen, auch wenn wir uns durchaus vorstellen könnten dort zu leben. Wir waren bei einer Wohnungsbesichtigung der ganz besonderen Art auf den Spuren von Adolf Loos in Pilsen unterwegs.
Wer war Adolf Loos?
1870 erblickt Adolf Loos in Brünn das Licht der Welt. Nach Beendigung der Schulzeit studierte er in Wien und Dresden. Von 1893-96 lebte Loos in Amerika und verdiente sein Geld unter anderem als Möbelzeichner und Architekt. Anschließend ließ er sich in Wien nieder und begann als Journalist und Architekt zu arbeiten.
Loos war ein Gegner des Jugendstils, vor allem die österreichische Variante war nicht nach seinem Geschmack. Die Verbindung von Kunst und Alltagsgegenständen gefiel ihm häufig nicht. Er empfand ornamentale Verzierungen und andere künstlerische Gestaltungsversuche an Gebrauchsgegenständen überflüssig. Loos war Verfechter für die Nutzung edler Materialien, die in Innenräumen einen gewissen Flair von Sinnlichkeit und Reichtum erzeugen sollten.
Er gilt als Wegbereiter der modernen Architektur und des modernen Designs. Für ihn war neben Design aber auch immer der Faktor Behaglichkeit und „Wohlfühlen“ sehr wichtig. Dabei versuchte er seinen Auftraggebern nicht das Neuste und Modernste zu verkaufen, sondern neue Elemente in das gewohnte Leben mit vorhandenen Möbeln/Gegenständen zu integrieren. Er verwendete gerne edle Materialien, die er in ganz Europa zusammen suchte. Wichtig war für ihn aber auch die Funktionalität seiner Entwürfe.
Loos verstarb 1933 in Wien und sein Grab mit dem von ihm entworfenen Grabstein befindet sich auf dem Wiener Zentralfriedhof (Gruppe 0, Reihe 1, Nummer 105).
Adolf Loos in Pilsen
Zwischen 1907 und 1932 war Loos mehrfach in Pilsen und schuf einige interessante Innenräume in verschiedenen Wohnungen.
Pilsen war zu dieser Zeit ein bedeutendes Industriezentrum und eine wohlhabende Unternehmerschicht lebte in großen Wohnungen. Zu ihnen zählte auch die Familie Hirsch, die Loos 1907 kennenlernte. Sie baten Loos, die Wohnung in der Plachého 6 zu gestalten. Mit diesem Auftrag begann für Loos eine arbeitsintensive Zeit in Pilsen. Er freundete sich mit zahlreichen jüdischen Familien an und etwa 13 Wohnungen / Aufträge wurden nach seinen Vorstellungen umgesetzt.
Die jüdischen Familien verließen im Nationalsozialismus die Stadt, einige starben in Konzentrationslagern. Die Häuser wurden konfisziert und nach dem Krieg in Büros oder kleinere Wohneinheiten umgestaltet. Leider zerstörte dieses auch oft die einzigartigen Werke von Loos.
Mit der Zeit ging das Wissen über Adolf Loos Werke in der Stadt verloren und erst Ende der 1960er Jahre machte eine Historikerin darauf aufmerksam. 2004 unternahm die Stadt dann die ersten Schritte, um das Andenken an Loos zu erhalten und auch wiederherzustellen. Bis 2020 waren einige Objekte wieder hergestellt und zur Besichtigung freigegeben.
Im Wohnzimmer der Familie Vogl
Treffpunkt für unsere Führung zum Thema Adolf Loos war vor dem Haus der Straße Klatovská 10 (hier lebte einst der Gründer der Skoda-Werke). Von hier aus gelangt man über eine Treppe und Gänge in das Nachbarhaus Klatovská 12, in dem sich die ehemalige Wohnung von Dr. Vogl befindet.
Adolf Loos hat diese Wohnung 1928 fertig gestellt und nur knapp 10 Jahre später emigrierte die jüdische Familie und die Wohnung wurde enteignet. Heute gehört der Stadt Pilsen die Wohnung und nachdem man sie renoviert hatte, ist sie seit 2014 im Rahmen von Führungen öffentlich zugänglich. Leider ist nicht die komplette Wohnung erhalten geblieben, aber zwei Räume kann man heute noch besichtigen.
Willkommen im Wohnzimmer der Familie Vogl
Als sich die Wohnungstür öffnet, betreten wir einen großen Raum und sofort fühle ich mich in eine andere Zeit zurück versetzt. Wir stehen im Wohnzimmer der Familie Vogl.
Mein erster Blick fällt auf den Knieschwimmer Sessel. Diesen Sesseltyp hat Adolf Loos entworfen und, ich durfte mich auch hineinsetzen, er ist wunderbar bequem – ideal zum Lesen und Entspannen.
Der ganze Raum ist klar strukturiert, es dominieren einfache Formen und Linien. Loos setzte bei seiner Raumgestaltung auch gerne Spiegel ein und ließ den Raum so optisch größer wirken. In dem Wohnzimmer der Familie Vogl sind Spiegelflächen so angebracht, dass sie geschickt mit den Spiegeln im benachbarten Esszimmer zusammenspielen. Auffällig sind die vielen Teppiche, die der Architekt über das Parkett legte, um dem hohen Raum nicht nur Gemütlichkeit, sondern auch Ruhe zu geben. Die Wände sind mit einer Täfelungen aus Kirschbaumholz versehen. Über der Täfelung sind dunkelgrüne Tapeten angebracht. An der Stirnseite des Wohnzimmers steht ein Kamin aus roten, gepressten Ziegeln.
Direkt an das Wohnzimmer schließt sich das Esszimmer der Familie Vogl an. Die Wände des Raumes sind mit Travertin Marmor getäfelt. Die Stühle könnten auch gut in heutigen Wohnungen zu finden sein und wer genau hinguckt, wird erstaunt feststellen, dass Loos bereits Upcycling betrieben hat. Es hängt eine Lampe aus einer Küchenschüssel über dem Tisch.
Zu Besuch bei Familie Kraus
Die Wohnungsbesichtigungstour führte uns anschließend in die Straße Bendova 10. Hier hat im zweiten Stock die Familie Kraus gelebt. Loos richtete der Familie die Wohnung 1930/31 ein. Im Zweiten Weltkrieg wurden Frau Kraus und die Kinder im Konzentrationslager getötet, Herr Kraus überlebte und emigrierte später nach Großbritannien.
Die ursprüngliche Wohnung wurde nach dem Krieg in drei Wohnungen aufgeteilt, was dazu führte, dass ein Teil der Ausstattung zerstört wurde. Heute gehört die Wohnung der Stadt Pilsen und seit 2014 kann sie im Rahmen einer Führung besichtigt werden.
Es sei bemerkt, in dieser Wohnung wird man keine Repliken der Inneneinrichtung finden. Was hier zu entdecken ist, ist entweder Original oder ein modernes Designerelement.
“Wohnen in Zonen” – eine Gestaltungsidee von Adolf Loos
In dieser Wohnung hat Loos seinen Gestaltungsanspruch „Wohnen in Zonen“ alle Ehre gemacht. Es gab die technische Zone mit Küche und dem Zimmer für das Dienstmädchen. Die repräsentative Zone mit dem Salon befindet sich genau gegenüber der Eingangstür und die private Zone liegt eher im hinteren Bereich der Wohnung. So sollte es nach Loos möglich sein Gäste zu empfangen, die aber mit dem privaten Bereich nicht in Berührung kommen würden.
Wir betreten zunächst den repräsentativen Teil der Wohnung Kraus und gelangen in das kombinierte Wohn- und Esszimmer. Die Räume werden heute für Kulturveranstaltungen genutzt und es stehen hier blaue Sitzgelegenheiten, die nicht in das ursprüngliche Gestaltungskonzept gehören.
Original erhalten sind aber die sich gegenüber befindenden Spiegelwände in den beiden Räumen. Sie erzeugen einen Effekt der unendlichen Spiegelung, der den Raum riesig erscheinen lässt. Die Decke der Räume ist mit dunklem Mahagoni getäfelt, passend dazu sind die Türen auch dunkel gehalten. Was auffällt sind die Fenster , die in grün gestrichen sind. Eine heute sehr ungewöhnliche Farbgestaltung, die aber von Loos bewußt so gewählt wurde, der Farbton wiederholt sich in der weiß-grünen Marmortäfelung des Raumes. An der Hauptwand des Wohnzimmers steht ein Kamin.
Der Flur verbindet den repräsentativen Bereich der Wohnung mit dem privaten Bereich. In einer Holzvertäfelung im Flur entdecke ich drei Klappen. Hier hat Loos etwas integriert, was seinen Sinn für das praktische Leben zeigt. Öffnet man eine Tür befinden sich dahinter 3 Auffangbeutel für Schmutzwäsche, die mit Hilfe der Klappen gleich nach Wäscheart sortiert werden konnten. Ich finde das super praktisch.
Vom Flur aus gelangt man in das heute nicht mehr erhaltene Badezimmer der Familie und in das Arbeitszimmer des Hausherren. Hier erwartete mich eine Farbexplosion, die mich schon sehr an die Villa Kunterbunt von Pippi Langstrumpf erinnerte. Nicht nur die grünen Fensterrahmen, auch einen knallroten Heizkörper und eine blaue Tapete ließen mich eher an Kinderzimmer und nicht an Arbeitszimmer denken. Die Tapete im Raum konnte anhand von gefundenen Restbeständen nachgedruckt werden.
Der Abschluss unserer Besichtigung findet im Schlafzimmer der Familie statt. Optisch erinnerte es mich an unmodern gewordene Hotelzimmer und etwas an die Wohnungseinrichtung meiner Großeltern.
Der Einbauschrank aus Ahorn ist original erhalten und öffnet man die Türen, entdeckt man die praktische Veranlagung von Loos: Huthaken, Schubkästen und ein durchdacht organisierter Stauraum. Für die Frau des Hauses hatte Adolf Loos eine Schminktisch Kombination eingebaut und sogar einen geheimen Platz für einen Safe findet man im Schlafzimmer.
Was mir neben all der Funktionalität fehlte war die Gemütlichkeit. Aber zu dieser Zeit war mit Sicherheit der Trend zur Wohlfühloase im Schlafzimmer noch nicht gegeben.
Wir haben unsere Führung zum Thema Adolf Loos sehr genossen. Sie war sehr informativ, spannend und eindrucksvoll, ein definitives Highlight unserer Zeit in Pilsen.
Wohnung der Familie Brummel
Im Jahr 1927 entwarf Adolf Loos eine Wohnung für Jan und Jana Brummel, in der auch die Mutter Hedwig Liebstein von Jana Brummel lebte. Die Wohnung befindet sich im ersten Obergeschoss eines ursprünglich eingeschossigen Hauses.
Adolf Loos kannte das Ehepaar Brummel kannte Loos aus Wien. Das Ehepaar kannte auch die Wohnung der Familie Hirsch, die ihnen sehr gefallen hatte. So beschlossen sie, Loos um den Umbau des Familienhauses in der Pilsener Husova Straße in einem ähnlichen Stil zu bitten. Glücklicherweise ist das Wohnhaus im Zweiten Weltkrieg nicht zerstört worden. Nach dem Krieg ist es vom kommunistischen Regime konfisziert und in mehrere kleine Wohneinheiten aufgeteilt worden.
Wohnungsbesuch
Durch eine Tür im Eingangsbereich betritt man ein repräsentatives Treppenhaus, dass zur Wohnung führt. Dort befindet sich heute auch die Rezeption, an der man die Führung durch die Wohnung beginnt.
Tritt man durch die Wohnungstür steht man in einem kleinen Eingangsbereich mit einer Garderobe und einem langen Buffett, auf dem die Hausherrin kleine Speisen anrichten konnte. Sogar einen Kühlschrank, der mit Eisblöcken gekühlt wurde, ist vorhanden.
Die dahinter liegende Wohnung teilt sich in drei Bereich. Es gibt die privaten Räume des Ehepaars, die gemeinsam genutzten Räume und den privaten Raum von Hedwig Liebstein. Alle Räume sind miteinander verbunden.
In dem Schlafzimmer des Ehepaars finden sich viele kleine Details wider, die ich schon in den anderen Wohnungen, die Loos in Pilsen gestaltet hat entdecken konnte. Mir gefällt immer wieder, wie praktisch die Einteilungen in den Schränken gewählt war. Durch eine in der Wandverkleidung versteckte Tür gelangt man in das Badezimmer.
Als nächstes betreten wir das Wohnzimmer. Hier steht ein dekorativer Kamin und viele der Möbel sind Originale und zum Teil von Loos entworfen. Mir fällt auf, dass Adolf Loos in dieser Wohnung wesentlich weniger Spiegel eingebaut hat, als in den anderen Pilsner Wohnungen. Vermutlich liegt es daran, dass diese Wohnung recht große und helle Räume hat und keine optische Vergrößerung mit Hilfe von Spiegeln notwendig erschien.
Direkt an das Wohnzimmer schließt das Esszimmer an. Die Wände sind mit einer Wurzelwerktäfelung der kanadischen Pappel verkleidet und ein großer Tisch dominiert den Raum.
Die Zimmer, die Hedwig Liebstein nutzte, schließen sich an die gemeinschaftlich genutzten Räume an. Wenn man diese betritt, befindet man sich optisch in einer vollkommen anders gestalteten Umgebung.
Die Räume wirken viel heller und freundlicher. Die dominierenden Farben im sogenannten Damensalon sind auf ihren Wunsch gelb und blau. Sie wollte, dass ihre Räume zu den Bildern von Von Gough passten, die in ihrem Besitz waren. Das Schlafzimmer ist recht schlicht gehalten. Das Bett kann auch als Sofa genutzt werden und es steht ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen dort.
Besucherinformationen
Es werden bestimmte Besichtigungsrouten angeboten. Diese müssen vorab gebucht werden, es ist nicht möglich einfach zu einer Wohnung zu gehen!
Die Kartenreservierung ist auf der Webseite oder im Tourismusbüro am Platz der Republik
Adressen der Wohnungen
Wohnungen der Familien Kraus und Vogl: Klatovská tř. 10 und Bendova 10, 301 00 Pilsen
Brummel-Haus: Husova 58, 301 00 Pilsen
Semler-Residenz: Klatovská tř. 110, 301 00 Pilsen
Besichtigungszeiten:
April – Oktober:
Freitag, Samstag, Sonntag
November – März:
Freitag, Samstag
Die Besichtigungen finden in Tschechisch statt und dauern etwa 45 Minuten. Übersetzte gedruckte Reiseführer erhält man auf Anfrage.
Ticketbuchtung auf der Webseite
Preise
Wohnungen der Familien Kraus und Vogl
(Startpunkt der Besichtigung Straße Klatovská 10)
Erwachsene 240 CZK
Brummel-Haus:
(Startpunkt der Besichtigung Straße Husova 58)
Erwachsene 290 CZK
Semler-Residenz:
(Startpunkt der Besichtigung Straße Klatovská 110)
Erwachsene 370 CZK
Offenlegung: Die Führung war Bestandteil einer Recherchereise nach Pilsen.
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