Eine Stadtführung durch Leipzig kann man unter vielen verschiedenen Gesichtspunkten, alleine oder auch geführt unternehmen. Es gibt viel zu entdecken, also haben wir uns auf Spurensuche durch die Stadt begeben.
Vom geschichtlichen Standpunkt aus wird Leipzig bestimmt nicht langweilig und wir können es sehr empfehlen an einer geführten Tour zum Thema „Friedliche Revolution im Herbst 1989“ teilzunehmen. Es gibt zwar in der Stadt überall sehr gut aufgebaute Stelen, die von den Ereignissen berichten, aber eine Führung mit einem Zeitzeugen ist viel emotionaler. Wenn berichtet wird, wie die Zeit nicht nur auf dem Papier, sondern auch live vor Ort empfunden wurde, kann man vieles noch besser verstehen.
Wann war die Friedlichen Revolution in Leipzig und wie verlief sie?
Die Friedliche Revolution in Leipzig fand im Herbst 1989 statt. Ein entscheidender Moment war die Leipziger Montagsdemonstration am 9. Oktober 1989, die als Wendepunkt für die gesamte weitere Entwicklung gilt. An diesem Tag gingen 70.000 Menschen auf die Straße, um friedlich gegen die SED-Diktatur und für Freiheit und Gerechtigkeit zu demonstrieren.
Die Friedensgebete in der Leipziger Nikolaikirche, die ab November 1982 montags stattfanden, spielten eine wichtige Rolle in der Friedlichen Revolution. Diese Gebete waren seit Beginn der 1980er-Jahre ein entscheidender Meilenstein auf dem Weg zur Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas.
Es ist wichtig zu betonen, dass der Ausgang der Friedlichen Revolution ungewiss war und dass der Mut und die Entschlossenheit der Menschen in der DDR entscheidend für den Erfolg der Revolution waren.
Welche Folgen hatte die Friedliche Revolution?
Die Friedliche Revolution hatte mehrere bedeutende Folgen, die sich bis heute auf Deutschland auswirken:
Zusammenbruch des sozialistischen Staates
Die wichtigste Folge war der Zusammenbruch des sozialistischen Staates im Osten Deutschlands und das Ende der SED-Diktatur.
Fall der Berliner Mauer
Ein weiteres bedeutendes Ereignis war der Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989, der als Symbol für den Erfolg der Friedlichen Revolution gilt. Dieser markierte das Ende der Teilung Deutschlands.
Wiedervereinigung Deutschlands
Die Friedliche Revolution führte schließlich zur Wiedervereinigung Deutschlands.
Gesellschaftlicher Wandel
Die Friedliche Revolution in Leipzig führte auch zu einem tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel. Die Oppositionsbewegungen in den sozialistischen Ländern und die Öffnung der Grenze, die Europa über Jahrzehnte geteilt hatte, läuteten das Ende der Systemkonfrontation des Kalten Krieges ein.
Stadtrundgang an einige der Orte der Friedlichen Revolution in Leipzig
Der Rundgang stellt einige der Orte vor, die im Verlauf der Ereignisse im Herbst 1989 eine entscheidende Rolle gespielt haben. Sicherlich gibt es noch zahlreiche weitere Orte, an denen Geschichte geschrieben worden ist, denn eigentlich ist überall in der Stadt zu dieser Zeit ein Umbruch zu spüren gewesen.
Hauptpost
Wir starten unsere Tour am Gebäude der ehemaligen Hauptpost von Leipzig. Der Bau entstand 1961-1964 und repräsentiert einen Bau der DDR-Moderne. Das Gebäude befindet sich am Augustusplatz (ehemaliger Karl-Marx-Platz). Heute ist dort ein Hotel eingezogen.
Guckt man sich historische Fotoaufnahmen von 1989 an, fällt die große Uhr an der Fassade auf. Heute kann man aufgrund dieser Uhr genau den Verlauf der Revolutionstage dokumentieren. Vor dem Gebäude zogen am 9.10.1989 geschätzte 70.000 Teilnehmer und nur eine Woche später bereits etwa 120.000 Teilnehmer friedlich vorbei. Während der Demonstrationszüge waren auf dem Dach zahlreiche Sicherheitskräfte positioniert, die bei entsprechendem Befehl in die Demonstration eingegriffen hätten.
Gewandhaus
Wer an das Gewandhaus denkt, dem fallen zuerst die herausragenden Konzerte ein, die dort gespielt werden. Im Herbst 1989 fanden dort allerdings ganz andere Veranstaltungen statt. Hier trafen sich die „Leipziger Sechs“.
Die “Leipziger Sechs” bezeichnet eine Gruppe von sechs Personen, die während der friedlichen Revolution in Leipzig im Jahr 1989 mit ihrem gemeinsamen Aufruf zur Gewaltfreiheit während der Montagsdemonstration am 9. Oktober 1989 eine entscheidende Rolle spielten.
Die Gruppe bestand aus folgenden Personen:
- Kurt Masur, Dirigent
- Bernd Lutz Lange, Kabarettist
- Peter F. Zimmermann, Theologe
- Kurt Meyer, SED-Bezirksleitung
- Jochen Pommert, SED-Bezirksleitung
- Roland Wützel, SED-Bezirksleitung
Ihr Aufruf zur Besonnenheit und Gewaltlosigkeit führte zu einer Entspannung der Situation und die bewaffneten Kräfte kamen nicht zum Einsatz. Kurt Masur, der Dirigent des Leipziger Gewandhausorchesters, spielte eine besondere Rolle. Er verlas den Aufruf gegen Gewalt, der von Vertretern der DDR-Staatsführung und der Opposition gemeinsam formuliert worden war.
Nur wenige Tage später veranstaltete man zum ersten Mal den „Dialog am Karl-Marx-Platz“. Dieser beantworte Fragen der Bevölkerung und innerhalb kurzer Zeit reichte der Platz im Gewandhaus für die interessierten Zuhörer nicht mehr aus. Man übertrug die Veranstaltung in die Treppenhäuser und angrenzenden Flure.
Demokratieglocke
Die Demokratieglocke auf dem Augustusplatz sieht aus wie ein Ei. Hätte man uns während der Führung nicht erklärt, dass es sich um eine Glocke handelt, wäre es mir nicht aufgefallen.
Sie wurde entworfen von dem Künstler Via Lewandowsky aus Berlin, der den Gestaltungswettbewerb der Kulturstiftung Leipzig gewonnen hat. Die Glocke wurde im August 2009 in Lauchhammer gegossen, das darin befindliche Schlagwerk wurde durch das Unternehmen Uhrentechnik Schnabel aus Klinga gefertigt.
Die Demokratieglocke ist der Friedlichen Revolution gewidmet und wurde am 20. Jahrestag der Montagsdemonstration des 9. Oktober 1989, also am 9. Oktober 2009, eingeweiht. Die Glocke schlägt an jedem Montag um 18:35 Uhr zwölfmal, in Bezug auf den Beginn der Montagsdemonstration am 9. Oktober 1989. An allen anderen Tagen schlägt die Glocke zwischen 8 und 20 Uhr innerhalb jeder vollen Stunde einmal zufällig zwischen einem und bis zu zwölf Schlägen.
Nikolaikirche
Die Nikolaikirche liegt mitten in der Altstadt von Leipzig. In den 1980er Jahren entstand dort eine Bewegung, die im Nachhinein betrachtet einer der Anfänge der Friedlichen Revolution in Leipzig war.
Jeden Montag öffnete die Kirche ihre Türen und lud zum Termin „Nikolaikirche-offen für alle“ ein. In Zeiten der zunehmenden Bedrohung durch Atomwaffen fanden dort, in einem geschützten Raum, Gebete für den Frieden statt. Jeden Montag um 17 Uhr, nur durch eine Sommerpause unterbrochen, finden diese Gebete bis heute statt.
Die Aktion war seinerzeit nicht unumstritten. Kamen doch auch Nicht-Christen in die Kirche und sagten ihre Meinung oder übten Kritik an Themen wie Umweltschutz oder dem Stadtverfall. Der Dialog war aber nicht mehr aufzuhalten, es kamen immer mehr Interessierte. Bis es schließlich am 9.10.1989 in der Montagsdemonstration etwa 70.000 Menschen wagten ihre Meinung zu äußern und sich gegen das Regime aufzulehnen.
Alte Nikolaischule
Immer wenn die Besucher der wöchentlichen Friedensgebete die Kirche verließen, wurde ihnen sehr deutlich vor Augen geführt, wie es um die historische Bausubstanz in der Stadt stand. Die Alte Nikolaischule, die 1512 errichtet wurde und in der viele heute bekannte Persönlichkeiten gelernt hatten, war eigentlich nur noch eine Ruine.
Für viele Besucher der Kirche war dieser Anblick fast schon ein Mahnmal, dass die Zustände im Land symbolisierte.
Vor der Alten Nikolaikirche steht heute ein Brunnen. Dieser stellt symbolisch dar, was sich damals ereignete. Das Wasser füllt nach und nach das Becken, bis irgendwann „das Fass überläuft“ und es sich einen neuen Weg sucht. Die Bürger der Stadt empfanden es ähnlich. Das „Fass“ der Unzufriedenheit mit dem politischen System, den Lebensumständen war bis zum Rand gefüllt und der letzte Tropfen brachte es zum Überlaufen und die Bewegung der Friedlichen Revolution war nicht mehr aufzufalten.
Interpelz-Gebäude
Das Gebäude, in dem sich heute ein Hotel befindet, spielte im Verlauf des Herbstes 1989 eine kleine aber entscheidende Rolle. Auf dem Dach des damaligen Bürogebäudes des Außenhandelsbetriebes Interpelz installierte die Staatssicherheit eine Überwachungskamera. Sie wollte so erreichen, dass die Besucher der Nikolaikirche aus Angst vor Repressalien von ihrem Vorhaben abließen und die Bewegung „einschlafen“ würde. Erreicht haben sie allerdings genau das Gegenteil. Die Leiziger wurden ungehalten, fühlten sich noch mehr eingeschränkt und ignorierten die Kamera schließlich.
Marktplatz und Altes Rathaus
Der Marktplatz am Alten Rathaus war im Laufe der DDR-Geschichte immer wieder einer der Orte, an dem Menschen ihren Protest kundtaten. So gab es 1953 hier eine Demonstration im Zuge des Arbeiteraufstandes und 1965 die sogenannte Beat-Demo nachdem „moderne Musik“ verboten worden war. Etwas abseits des Platzes erinnert heute ein im Boden eingelassenes Denkmal an die Arbeiteraufstände. Dieses soll die Spuren der Panzerketten symbolisieren, die die Aufstände in der DDR niederschlugen.
Im Januar 1989 nutzten Demonstranten die traditionellen Feierlichkeiten zu Ehren von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zum Verteilen von Flyern. Dort forderten sie zu den ersten Demonstrationszügen auf. Es sollen etwa 500 Personen dem Aufruf gefolgt sein.
Nach den Kommunalwahlen 1989 regte sich auf dem Marktplatz kräftiger Protest, weil die Bürger einen Wahlbetrug mit der Fälschung der Ergebnisse vermuteten.
Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit
Das Gebäude mit dem eigentlich schönen Namen „Runde Ecke“ war zu DDR-Zeiten der Sitz der Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit, also der Stasi. Kein Gebäude, was man freiwillig betrat, es sei denn man arbeitete dort. 1989 sollen hier etwa 2400 hauptamtliche Mitarbeiter und geschätzte 10.000 informelle Mitarbeiter beschäftigt gewesen sein.
In dem Gebäude lagerten die Stasiakten. In denen befanden sich alle wichtigen und unwichtigen Informationen, die über die Menschen der Region zusammen getragen worden waren. Informationen, die ganze Leben im DDR Regime zerstören konnten und auch im Nachhinein betrachtet, Informationen, die zukunfige Leben beeinflussen konnten.
Während der Protestzüge durch die Stadt im Herbst 1989 zog die Menge auch an diesem Gebäude vorbei. Um die Menge nicht zu reizen dunkelte man das Gebäude ab und verhielt sich ruhig. Vor dem Eingang versuchte eine Menschenkette die Demonstranten zu beruhigen.
Am 4.12.1989 gelangten dennoch Demonstranten in das Gebäude und besetzten es. Sie begannen damit Akten zu vernichten. Schnell griff ein Bürgerkomitee ein und es gelang ihnen die Aktenvernichtung zu stoppen und weitere Übergriffe zu vermeiden. Die Räume wurden versiegelt und so war es möglich später die Akten zu sichten und zu bearbeiten.
Heute befindet sich in dem Gebäude die Gedenkstätte “Museum in der ‘Runden Ecke'” mit seiner Dauerausstellung “Stasi – Macht und Banalität”.
Rückwärtiger Anbau an die Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit
Geht man nur wenige Schritte um das Gebäude herum, steht man vor einem hässlichen grauen Betonklotz, ein typischer Häuserbau aus den 1970er Jahren.
Dieses Gebäude wurde auch von der Stasi genutzt und zeigt sehr deutlich, wie groß der Verwaltungsapparat war. Auf dem Dach stand eine riesige Antennenanlage, ein kleiner Teil davon ist noch vorhanden.
An den Hauswänden befindet sich heute eine kostenlose und rund um die Uhr zugängliche Open-Air-Ausstellung. Diese zeigt auf gut ausgearbeiteten Schautafeln den Verlauf der Friedlichen Revolution in Leipzig.
Hauptbahnhof
Unsere Tour endet am Leipziger Hauptbahnhof.
Der Hauptbahnhof ist am 4.12.1915 eröffnet und am 4.12.1943 bei Bombenangriffen schwer beschädigt worden. Am 4.12.1965 war der Wiederaufbau beendet.
Als am 9.12.1989 die Demonstranten durch die Stadt zogen befürchteten die Sicherheitskräfte, dass es zu gewalttätigen Ausschreitungen kommen könnte. Der Bahnhof galt als wichtiger Standort und Hundertschaften von Unteroffiziersschülern aus Delitzsch und Bad Düben waren dazu abkommandiert diesen zu schützen. Das Gelände sperrte man großzügig ab und stand dort in Bereitschaft. Die Demonstranten zogen friedlich vorbei, so wie sie es in den vergangenen Montagsdemonstationen auch getan hatten.
Weitere interessante Orte der Friedlichen Revolution in Leipzig
Im gesamten Stadtgebiet verteilt gibt es noch einige interessante Orte, die in der Friedlichen Revolution eine Rolle gespielt haben. Diese haben wir nicht in unseren Spaziergang durch die Altstadt eingebunden. Ich möchte allerdings darauf hinweisen:
Wehrbezirkskommando
In der Stadtvilla, in der sich das Wehrbezirkskommando befand herrsche im Herbt 1989 höchste Alarmstufe. Von dort wären im Falle von Gewaltanwendungen die Befehle zur gewaltsamen Zerschlagung der Demonstration herausgegangen.
Sowjetische Militärabwehr
Ein Stadthaus in einer Seitenstraße im Stadtteil Gohlis war über Jahrzehnte der Sitz der Sowjetischen Militärabwehr und eine Außenstelle des Geheimdienstes. Hier verfolgte man die Entwicklung in der Stadt mißtrauisch und meldete (was genau ist bis heute unbekannt) alle Vorkommnisse nach Moskau.
SED-Bezirksleitung
Die Zentrale der SED in Leipzig befand sich etwa 2 Kilometer außerhalb der Altstadt. Hier befand sich die Einsatzleitung, die sich auf eine Eskalation der Ereignisse eingestellt hatte, aber aufgrund der Größe der Menschenansammlung keine Entscheidungen treffen wollten oder konnten.
Rat des Bezirks
Im Nebengebäude befand sich der Sitz des Rates des Bezirks. Vermutlich war das der Ort, an dem Wahlfälschungen durchgeführt wurden, die mit ein Grund für die enstandenen Unruhen waren.
Sender Leipzig
Keine Gewalt! Das war eine der zentralen Botschaften, die am 9. Oktober 1989, um 18 Uhr der Aufruf vom Sender Leipzig ausgestrahlt und anschließend im Stadtfunk verlesen wurde. Aufgerufen dazu hatten die Leipziger Sechs (Kurt Masur, Bernd-Lutz Lange, Peter Zimmermann, Kurt Meyer, Jochen Pommert und Roland Wötzel), die versuchten eine Desekalation zu verhindern.
Karte “Friedlichen Revolution in Leipzig”
Der Stadtrundgang war ein Programmpunkt einer Pressereise nach Leipzig.
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