Eingebettet zwischen Wohnhäusern im Berliner Bezirk Treptow-Köpenick stehen flache Baracken, in denen sich heute das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit befindet. Hier, in einem ehemaligen Zwangsarbeiterlager, erfährt man, wie die Zwangsarbeiter in der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland gelebt haben, liest viel über menschliche Schicksale und Tragödien.
Zwischen Britzer, Köllnischer und Rudower Straße befand sich ein großes mit Kiefern bewachsenes Grundstück, das umgeben war von zahlreichen Wohnbauten. Ein Teil davon war im Besitz der Deutschen Reichsbahn, ein weiterer Bereich gehörte zwei jüdischen Brüdern. Die Anwohner nutzten das Gelände als Naherholungsgebiet.
Geschichte des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit
Planungen sahen zunächst vor, ein Heim für die Hitlerjugend auf dem Gelände zu errichten. Man verwarf den Gedanken jedoch, als auffiel, dass man aus den benachbarten Wohnhäusern einen zu guten Einblick auf die Geschehnisse haben könnte.
1942 enteignete man die Besitzer des Geländes und führe es der Vermögensverwaltung des Landes zu.
Zwangsarbeiterlager in der NS-Zeit
Es entwickelten sich nun andere Pläne und im Mai 1943 begannen die Vermessungen des Grundstücks. Geplant war es, innerhalb kürzester Zeit das GBI-Lager 75/76 zu errichten. Nach nur vier Monaten standen die ersten der 15 symmetrisch geplanten Steinbaracken, die für die Unterbringung von über 2000 Personen gedacht waren. Laut den vorhandenen Quellen waren etwa 900 ausländischen Zwangsarbeitern im Verlauf der Nutzungszeit dort untergebracht. 13 Baracken nutze man als Unterkunftsgebäude, ein Gebäude war ein Wirtschaftsgebäude und ein Gebäude für die Wachen. Ganz fertiggestellte wurde der Komplex jedoch nicht.
Da das Gelände strategisch günstig in der Nähe von kriegswichtigen Betrieben lag, nahm man die Einsichtbarkeit durch die Bevölkerung in Kauf. Man ließ aber möglichst viele Kiefern stehen, um dem Gelände einen Schutz vor Luftangriffen zu bieten. Zusätzlich, und das unterscheidet dieses Lager von anderen Zwangsarbeiterlagern, gab es Luftschutzbunker, der den Bewohnern Schutz bot.
In einem Teil des Lager waren italienische Militärinternierte und Zivilarbeiter untergebracht. Andere Baracken bewohnten „Ostarbeiter“ und in zwei Häusern, die als KZ-Außenstellen dienten, lebten weibliche Häftlinge, die in der nahgelegten Batteriefabrik Pertrix (VARTA) arbeiteten.
Nutzung nach dem Zweiten Weltkrieg
Direkt nach dem Zweiten Weltkrieg nutzte zunächst die Rote Armee den Komplex als Kaserne und als Lager für Druckerzeugnisse und Getreide. Als diese ab Ende 1945 weniger Raum benötigten, konnte die Berliner Zivilbevölkerung einige unbeschädigte Gebäude übernehmen. Schnell siedelten sich erste Handwerksbetriebe an. So entstand zum Beispiel im ehemaligen Wirtschaftsgebäude eine Badeanstalt und Molkerei. Bis heute werden einige Gebäude von privaten Eigentümern genutzt.
In die sechs westlich gelegenen Baracken zog ein Impfstoffwerk. Ab den 1950er Jahren war es das nationale Forschungs- und Produktionszentrum für Impfstoffe in der DDR.
Ein Dokumentationszentrum entsteht
1991 wickelt man das Institut im Zuge der Wiedervereinigung ab. Das Gelände ging in den Besitz des Bundes über und war über einige Jahre ungenutzt.
Bei der Frage der Nachnutzung und ersten Vorbereitungen für die Sanierung stellte man fest, dass die Gebäude Überreste eines Zwangsarbeiterlagers waren. 1995 installierte man am Zaun um das Gelände eine Ausstellung und rückte so die Geschichte des Ortes wieder ins öffentliche Interesse.
Bürgerinitiativen und Einzelpersonen setzten sich in dieser Zeit dafür ein, in den leer stehenden Gebäuden ein Dokumentations- und Lernzentrum zum Thema NS-Zwangsarbeit aufzubauen.
In einem ersten Schritt stellte man 1995 das Gebäudeensemble unter Denkmalschutz und brachte 2001 eine Gedenktafel an.
Gedenkstätte Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit
Bis das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit seine Türen für Besucher öffnen konnte, verging noch einige Zeit. Baracken verfielen und lange Zeit war ungeklärt, wer das Gelände nutzen sollte.
2005 übernahm das Land Berlin einen Teil des Geländes. Diese beauftragen die Stiftung Topographie des Terrors das Projekt Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit rechtlich zu organisieren und organisatorisch zu betreuen.
Nach umfangreichen bauhistorischen Untersuchungen konnte man bis zum Sommer 2006 zwei Baracken sanieren und so herrichten, dass Ausstellungen und Bildungsangebote stattfinden konnten. Heute werden 6 Baracken auf dem Gelände des Dokumentationszentrums und die wenige Schritte entfernte Baracke 13 vom Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit verwaltet und genutzt.
Besuch im Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit
Mein Besuch beginnt zunächst mit einem kleinen Rundgang um das Gelände, wobei ich zugeben muss, weit bin ich zuerst nicht gekommen. Am Zaun direkt neben der Bushaltestelle vor dem Haupteingang hängen zahlreiche Informationstafeln. Während ich anfange zu lesen merke ich, wie wenig ich über das Thema eigentlich weiß.
Was ist Zwangsarbeit?
Die Nationalsozialisten haben von 1938 bis 1945 das größte Zwangsarbeitersystem seit der Antike in Europa aufgebaut. Im Deutschen Reich und den besetzten Gebieten mussten etwa 26 Millionen Juden, Sinti, Roma, Kriegsgefangene, zivile Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge als Zwangsarbeiter arbeiten. Betrachtet man nur Berlin, waren es 1944 etwa 420.000 Ausländer, die zur Arbeit gezwungen worden waren.
Eingesetzt wurden die Zwangsarbeiter in der gesamten Wirtschaft und in der Landwirtschaft, in Krankenhäusern, Kirchen, Privathaushalten. Zivile Zwangsarbeiter erhielten einen sehr geringen Lohn, andere arbeiteten um zu überleben (also ohne Lohn). Die Menschen arbeiteten oft in bis zu 12 Stunden langen Schichten an 7 Tagen in der Woche. Untergebracht hat man sie in bewachten Lagern, die oft überfüllt waren. Dort herrschten schlechte hygienische Verhältnisse und mangelhafte medizinische Versorgung.
Im Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit beschäftigen sich zwei Dauerausstellungen und regelmäßig wechselnde Sonderausstellungen mit diesem Thema. Diese kann man kostenfrei besuchen. Zusätzlich kann man auf Anfrage auch die Baracke 13 besichtigen, die noch nahezu im Originalzustand erhalten ist.
Dauerausstellung „Alltag Zwangsarbeit 1938–1945“
In der Baracke 2 wird seit 2013 die Dauerausstellung „Alltag Zwangsarbeit 1938–1945“ auf gut 600 m² gezeigt. Die Ausstellung ist zweisprachig konzipiert und bietet neben zahlreichen Fotos und Dokumenten auch Video/Medienstationen mit Zeitzeugenberichten.
Mir hat sehr gut gefallen, dass ein Fokus auf dem Geschehen im Berliner Stadtgebiet liegt. Dabei wird natürlich das Zwangsarbeiterlager in Schöneweide mit betrachtet und so erhält man einen direkten Bezug zum Standort. Und nicht nur das, in Berlin gab es etwa 3000 Sammelunterkünfte, in denen etwa 500.000 Zwangsarbeiter lebten. Auf einer Karte kann man etwa die Hälfte der Standorte in der Stadt lokalisieren.
Bedrückend fand ich die Darstellung des Alltags der Zwangsarbeiter im Lager und die Orte, an denen der Arbeitseinsatz stattfand. Erschreckend, wenn man die Abbildungen betrachtet, wo und unter welchen Bedingungen Zwangsarbeiter in Berlin untergebracht und wo sie überall eingesetzt waren.
Besonders die Biografien von 17 Zwangsarbeiter/innen, die im mittleren zentralen Gang vorgestellt werden, machen das Geschehen greifbarer und verständlicher. Diesen Biographien sind 16 weitere Personen und ihre Lebensgeschichte gegenüber gestellt, die als „Akteure“ mit den Zwangsarbeitern zu tun hatten.
Die Dauerausstellung ist sehr informativ und man sollte sich die Zeit nehmen, um die Texte zu lesen.
Dauerausstellung: „Zwischen allen Stühlen. Die Geschichte der italienischen Militärinternierten 1943–1945“
Seit 2016 gibt es eine weitere Dauerausstellung, die in der Baracke 4 zu sehen ist. Diese beschäftigt sich mit den italienischen Militärinternierten, die als Zwangsarbeiter eingesetzt wurden.
Während des Zweiten Weltkrieges waren das faschistische Italien und NS-Deutschland lange Zeit Bündnispartner. Anfang September 1943 trat Italien aus dem Bündnis aus. Die Wehrmacht nahm daraufhin die italienischen Militärangehörige, die nun Gegner waren, gefangen. Es sollen etwa 650.000 Italiener gewesen sein, die in Lager transportiert wurden. Mit der Gründung der Repubblica Sociale Italiana (RSI) 1944 wurden die Gefangenen zu „Militärinternierten“ erklärt. So konnte man sie ohne Rücksicht auf das Völkerrecht als Zwangsarbeiter einsetzten.
In Berlin-Schöneweide waren ab 1944 etwa 400 Italiener untergebracht, die in den umliegenden Betrieben arbeiteten.
Die Dauerausstellung beschäftigt sich mit dem Schicksal der italienischen Militärinternierten. In deutsch, englisch und italienisch werden die Lebens- und Arbeitsbedingungen sehr eindrucksvoll mit Hilfe von Fotos, Dokumenten und Zeitzeugenberichten aufgezeigt.
Wie auch die erste Dauerausstellung greift diese Ausstellung ein Thema auf, dass zu meiner Schulzeit im Geschichtsunterricht nicht angesprochen worden ist. Daher waren viele der detailliert dargestellten Informationen für mich neu. Eine Ausstellung, die mein Interesse geweckt hat, mich weiter zu informieren.
Baracke 13
Seit 2010 gehört die Baracke 13 zum Ausstellungsbereich des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit. Sie liegt nicht auf dem Gelände der Gedenkstätte und ist nur auf Anfrage zugänglich. Man erreicht das Gebäude nach wenigen Metern Fußweg, der an ehemaligen Baracken vorbeiführt. Diese werden heute ganz unterschiedlich genutzt und nur die charakteristische Bauweise verrät noch den ursprünglichen Nutzungszweck.
Die Baracke 13 ist im Inneren noch nahezu originalgetreu erhalten, sogar der Tarnanstrich an den Fensterläden ist zu erkennen. Man kann im Gebäude den typischen Aufbau einer Baracke in einem Zwangsarbeiterlager sehr gut erkennen. Von einem breiten Mittelflur gehen die einzelnen Stuben ab. Je nach Größe des Gebäudes waren es 10-12 Zimmer. In der Baracke gab es einen Toiletten- und Waschraum mit drei steinernen Waschbrunnen. Einer dieser Brunnen steht in der Baracke 13. Neben den Toiletten liegt ein schmaler Raum. Man weiß bis heute nicht, welchen Zweck dieser Raum hatte.
Die Stuben hatten, im Gegensatz zu dem unverputztem Flur, einen lasierten beigen Farbanstrich. Laut Berichten von Zeitzeugen gab es bis zu neun zweistöckige Holzetagenbetten, neun Doppelschränke, kleine Bänke und einen Tisch sowie einen Ofen in jedem Zimmer. Jede Stube war mit einer Glühlampe beleuchtet.
In den Stuben hängen heute Zitate ehemaliger Zwangsarbeiter/innen, die etwas über den Lageralltag aussagen.
Das Gebäude ist unterkellert. Hier hatte man einen Luftschutzbunker eingerichtet. Über ein paar Stufen einer Außentreppe steigt man in den Keller. Eine große massive Stahltür, die auch von innen zu sichern ist, verschließt den labyrinthartig aufgebauten Raum unter der Baracke. An den Wänden hat man Inschriften entdeckt, die heute zeigen, wer und wann dort Schutz gesucht hatte. In dem folgenden kleinen Video wird genaueres darüber erklärt.
Mich hat der Besuch des Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit sehr beeindruckt. Das Thema bedrückt, erschüttert, wühlt auf und darf nicht vergessen werden.
Adresse:
Britzer Straße 5
12439 Berlin
Öffnungszeiten:
Dienstag – Sonntag: 10-18 Uhr
Eintrittspreis:
kostenlos
Vielen Dank an das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit für die Führung und die Möglichkeit der Fotonutzung.
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