Bei einer Wanderung durch den Berliner Grunewald zog es uns zu einem der vielleicht idyllischsten Friedhöfe der Stadt, dem Friedhof Grunewald-Forst, der den Berlinern eigentlich nur unter den Namen „Selbstmörderfriedhof“ oder „Friedhof der Namenlosen“ bekannt ist.
Wie kommt Berlin zu einem Selbstmörderfriedhof?
Der Friedhof befindet sich im Jagen 135 nicht weit entfernt von der Berliner Havel. Der Flußverlauf weist an dieser Stelle einen Knick auf, was zur Folge hat, dass dort aufgrund der Strömungsverhältnisse immer mal wieder eine Wasserleiche angespült wird und am Ufer liegen bleibt.
Nicht immer lässt sich der Name des Toten ermitteln und so manch eine Leiche war von einem Selbstmörder (Suizidenten). Und genau da begann die Schwierigkeit. Noch bis ins 19.Jahrhundert war der Selbstmord eine Todsünde und die christlichen Kirchen erlaubten keine Bestattung auf ihren Friedhöfen. Was sollte man aber mit den Leichen machen? Die Forstverwaltung im Grunewald wurde die Toten nicht los und musste sich darum kümmern, dass die Toten bestattet wurden.
1878/79 beschloss man daher, die Toten in einer Waldlichtung im Grunewald zu beerdigen. Es dauerte nicht lange, bis es sich bei der Bevölkerung herumgesprochen hatte, dass im Grunewald nun Selbstmörder eine letzte Ruhestätte finden konnten. Immer häufiger wandten sich Menschen aus ganz Deutschland an den Oberförster und bat darum, ein Angehörigen dort begraben zu können. Es soll sogar vorgekommen sein, dass Familien heimlich dort jemanden vergruben, um nicht der „Schande“ des Selbstmordes ausgesetzt zu sein. Und es soll sogar vorgekommen sein, dass Selbstmörder sich in der Nähe des Friedhofes umbrachten, um Ihren Angehörigen den Ärger mit der Friedhofsverwaltung zu ersparen.
Nach der Beendigung des Ersten Weltkrieges begrub man auch Opfer des Krieges (Soldaten, Kriegsgefangene, Zivilisten) im Grunewald. Bei unserem kleinen Rundgang über den Friedhof sind uns auch die fünf hölzernen russischen Kreuze mit kyrillischen Inschriften aufgefallen. Sie erinnern an die Beerdigung von fünf zarentreuen Russen, die sich aus Kummer über den Sieg der Bolschewiki selbst getötet hatten und dann aus der Havel geborgen worden waren.
Was wurde aus dem Friedhof?
1920, nach der Gründung von Groß-Berlin, gehörte der Grunewald der Stadt Berlin. Auch der Friedhof im Wald fiel nun in die Zuständigkeit der Stadt. Schnell entstand in jedem Berliner Bezirk ein kirchenunabhängiger Friedhof. So konnte man dem Problem der „nicht kirchenkonformen“ Leichen beheben.
Bis 1927 nutzte man den Friedhof im Grunewald noch als Selbstmörderfriedhof. 1928 baute man eine feste Mauer um das inzwischen knapp 5000 m² große Gelände und baute eine großes Eingangstor ein. Die Anlage wurde gepflegt und zunehmend auch für „Nicht-Selbstmörder“ Grabstätten attraktiv.
Nach dem Zweiten Weltkrieg bettete man Zivilisten, die zuvor provisiorisch in den Berliner Parks beerdigt worden waren auf die Berliner Friedhöfe um. Auch im Grunewald legte man 60 Einzelgräber und ein Sammelgrab für die Kriegsopfer an.
Seit 2018 werden keine neuen Grabstätten mehr auf dem Friedhof vergeben. Man hat beschlossen, das Gelände nach dem Ablauf der Fristen frühstens 2038 zu entwidmen.
Rundgang über den Selbstmörderfriedhof
Die Schilder mitten im Wald wiesen uns den Weg zum Friedhofsgelände. Als wir durch das große Eingangstor treten, weist uns ein Schild darauf hin, dass wir doch bitte das Tor richtig verschließen. Die Wildschweine würden sonst über die Grabstätten „herfallen“.
Naturbelassene Wege führen uns durch einen zugewachsenen Friedhof. Zwar liegen die Gräber auch hier geordnet an den Wegen, aber die meisten Grabstätten hat schon lange keiner mehr besucht. Efeu rangt überall und die Natur hat sich ihren Platz zurückerobert.
Es gibt Grabstätten der Namenlosen, Grabstätten der Selbstmörder und Grabstätten, die sich Menschen ausgesucht haben, denen der Ort gut gefiel. So zum Beispiel der Berliner Gräberforscher Willi Wohlberedt, der sich schon vor seinem Tod einen Platz auf dem Friedhof reservieren ließ. Auch der Oberförster Willi Schulz (1881-1928) hat in „seinem“ Grunewald die letzte Ruhestätte gefunden.
Der Dichter Georg Heym soll gerne auf dem Friedhof unterwegs gewesen sein. Seine Werke beschreiben auch schaurige Bilder, vielleicht inspiriert durch seine Friedhofsbesuche. 1912 brach Heym beim Schlittschuhlaufen ins Eis ein und versank bei Lindwerder. Seine Leiche fand man später unter dem Eis und brachte sie zum Selbstmörderfriedhof. Hätten ihn seine Angehörigen dort nicht identifiziert, läge er bestimmt auch auf dem Friedhof in einem Grab der Namenlosen. So aber bestattete ihn seine Familie im Fürstenbrunner Weg.
Die Grabstätten der wohl bekannteste Persönlichkeiten, die man auf dem Friedhof entdecken kann sind der Schriftsteller Clemens Laar, der 1960 Suizid beging und das Grab vom Model, Schauspielerin und Sängerin Nico (Rockband The Velvet Underground). Ihr Grab wird noch heute von Fans der Band besucht.
Adresse:
Havelchaussee 92B, 14193 Berlin
Öffnungszeiten:
7-20 Uhr
Schreibe einen Kommentar