Wir steigen am Bahnhof Grunewald aus der S-Bahn und verlassen den Bahnsteig, an dem täglich die Züge ein- und ausfahren. Die Fußgängerunterführung bringt uns nicht nur in das Bahnhofsgebäude, sondern auch an einen Ort, dem man heute nicht mehr auf den ersten Blick ansieht, was hier grausames geschehen ist, das Gleis 17 am Bahnhof Grunewald.
Der Bahnhof „Hundekehle“ 1879-1939
1879 ging der Bahnhof „Hundekehle“ mit 4 Bahnsteigen (drei Mittelbahnsteige und einen Seitenbahnsteig) in Betrieb. Hier fuhren die Züge der Wetzlarer Bahn, der „Kanononenbahn“ (eine militärstrategische Bahnstrecke von Berlin nach Metz) und die „Grunewaldzüge“ ein und aus. Die Grunewaldzüge fuhren von der Ringbahn kommend bis in den damaligen Bahnhof Grunewald (ab 1884 Halensee).
Das imposante Eingangsgebäude am Bahnhof „Hundekehle“ entstand 1899. Der Bau sieht ein wenig wie ein Burgtor aus und passend wehte eine Windfahne in Form einer Dampflokomotive auf dem Dach. Der Zugangstunnel, durch den man noch heute zu den Bahngleisen gelangt, entstand zeitgleich. Der Tunnel und das Stationsgebäude stehen heute unter Denkmalschutz.
1928 wurde der Bahnhof elektrifiziert. Die S-Bahn nahm auf der Strecke den Betrieb auf und die „Grunewaldzüge“ stellten den Betrieb ein.
Ort des Schreckens im Nationalsozialismus
In der Zeit des Nationalsozialismus deportierte man aus Berlin über 50.000 Juden. Ein Großteil der Menschen mussten am Bahnhof Grunewald in den Zug steigen.
Am 18.10.1941 verließ der erste Zug mit 1013 Juden den Bahnhof. Und so schnell sollte das Grauen an diesem Ort nicht enden. Bis April 1942 fuhren unzählige Züge, in denen die Menschen wie Tiere eingepfercht wurden, in die Gettos von Litzmannstadt, Riga und Warschau.
Ab Ende 1942 fuhren die Züge dann in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau und in das Konzentrationslager Theresienstadt. Alleine vom Bahnhof Grunewald waren es etwa 35 Züge mit 17.000 Menschen.
Gleis 17 – Ort des Gedenkens
In den letzten Jahren entstanden einige Mahnmale in Erinnerung an die grausame Zeit am Bahnhof Grunewald. Leider sind einige von ihnen entwendet oder auch wieder entfernt worden.
1987 brachte man am ehemaligen Stellwärterhaus eine Gedenktafel auf Hebräische an. Dort steht „Zum Gedenken an die Opfer der Vernichtung“ und darunter auf Deutsch: „Zum Gedenken an Zehntausende jüdischer Bürger Berlins, die ab Oktober 1941 bis Februar 1945 von hier aus durch die Nazi-Henker in die Todeslager deportiert und ermordet wurden.“
2005 erneuerte man eine Gedenktafel, die man zum 45. Jahrestag der ersten Deportation 1987 angebracht hat. Heute liegt eine Eisenbahnschwelle mit der Aufschrift: „Im Gedenken an die Menschen, die von diesem Bahnhof deportiert wurden”. 18.Okt.1941–18.Okt.1987“ im Bahnhof.
1991 enthüllte man ein Mahnmal an der Rampe, die zum Güterbahnhof hinauf führt. Ein polnischer Künstler hat eine Betonmauer erschaffen, in der die Negativabdrücke menschlicher Körper zu sehen sind. Eine Bronzetafel erläutert die Arbeit, die auch an die langen Märsche der Menschen zu den Deportationszügen erinnern soll.
1998 enthüllte man das zentrale Mahnmal, dass an die Rolle der Reichsbahn unter der nationalsozialistischen Diktatur erinnern soll.
Gleis 17
Wir erreichen über einige Stufen aus der Fußgängerunterführung des Tunnels das Gleis 17.
Beidseitig des Gleises liegen heute 186 gusseiserne Platten. Auf den ersten Blick wirken sie wie ein Gitterrost. Tritt man dann an die Bahnsteinkante entdeckt man unzählige Zahlen und Daten. In chronologischer Reihenfolge sind hier alle Fahrten von Berlin und die jeweiligen Anzahl der Deportierten mit ihrem Zielort angegeben. Mich hat das sehr erschreckt, da mir bis dahin zwar bewußt war, dass es um viele Menschen ging, aber die Zahlen machen das Grauen anschaulicher, greifbarer.
Guckt man dann auf die inzwischen zugewachsenen Gleise mit den maroden Schwellen und rostigen Schienen hofft man, dass hier nie wieder ein Zug abfahren wird.
Adresse:
Am Bahnhof Grunewald
14193 Berlin
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