Bei einem Spaziergang entdeckte ich vor einiger Zeit ein Schild an einer Laterne, dass mir anzeigte, ich würde gerade auf dem „Pfad der Erinnerung“ laufen. Obwohl ich diesen Weg schon dutzende Male gelaufen war, ich hatte diesen Hinweis noch nie zuvor gesehen und konnte mir auch nicht wirklich vorstellen, was oder wem hier die Erinnerung gelten sollte.
Gut, dass man in einem solchen Fall mit Hilfe des Internets schnell schlauer wird. Der „Pfad der Erinnerung“ verbindet die Gedenkstätte Plötzensee mit drei Kirchen, die sich dem Gedenken an den Widerstand gegen die Nazi-Diktatur widmen.
Wir haben uns wenig später auf Spurensuche begeben und sind die Strecke, für die man ohne Pause etwa 1 Stunde zu Fuß benötigt, abgelaufen.
Gedenkstätte Plötzensee
Beim Besuch der Gedenkstätte erfährt man in einer Dauerausstellung nicht nur etwas über die Geschichte des Ortes, sondern auch viel über die Justiz während der Zeit des Nationalsozialismus.
Mich hat die Geschichte des Ortes sehr beeindruckt, nachdenklich und traurig gemacht.
1868 bis 1879 wurde die Strafanstalt Plötzensee erbaut. Hier brachte man bis zu 1200 Gefangene in verschiedene Gebäuden und mit vielen Freiflächen unter. Mit den guten Haftbedingungen sollte eine Besserung erwirkt werden.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten verschärften sich die Haftbedingungen in Plötzensee. Es wurden nun auch zu einem Untersuchungsgefängnis für politische Strafverfahren und es saßen hier nicht nur deutsche, sondern auch zahlreiche ausländische Gefangene.
Man inhaftierte hier auch zum Tode verurteilte Gefangene.
Was passierte in der Strafanstalt Plötzensee?
In einer Arbeitsbaracke stellt man 1937 eine Guillotine auf. Hitler hatte zuvor verfügt, dass in Deutschland die Todesstrafe künftig mit diesem grausamen Gerät vollstreckt werden sollte. 1942 ließ man zusätzlich einen Stahlträger im Hinrichtungsraum einziehen, an dem acht Eisenhaken befestigt waren. Hier nahm man Erhängungen vor.
1943 wird das Gefängnis in der Nacht vom 3. auf den 4. September bei einem Luftangriff schwer getroffen. Wie bei jedem Luftangriff standen die Häftlinge unter Verschluss in ihren Zellen. Ein Teil der Gebäude brennt ab, es kommt zu Detonationen, bei denen Zellentüren aufgesprengt werden, einige Häftlinge konnten fliehen.
Von den gut 300 zum Tode verurteilten Häftlingen, die zu dieser Zeit dort einsaßen, werden viele der anstehenden Gnadenverfahren anschließend im Eiltempo ohne Anhörungen bearbeitet. Da der Hinrichtungsraum mit der Guillotine schwer beschädigt war, entschloss man sich in der Nacht vom 7. auf den 8. September 186 Menschen zu erhängen. Nach einer Pause von 12 Stunden erfolgten bis zum 12. September die Erhängung weitere 60 Opfer. Diese Nächte werden heute als die Blutnächte von Plötzensee bezeichnet.
Nach dem Umsturzversuch am 20.7.1944 inhaftiert man einige der innerpoltischen Gegner Hitlers in Plötzensee. Anfang August beginnen die ersten Prozesse gegen Feldmarschall Erwin von Witzleben, Oberleutnant Peter Graf Yorck von Wartenburg, Generaloberst Erich Hoepner, Generalleutnant Paul von Hase, Generalmajor Hellmuth Stieff, Hauptmann Karl Friedrich Klausing, Oberstleutnant Robert Bernardis und Oberleutnant Albrecht von Hagen. Alle enden mit dem Todesurteil, das noch am selben Tag in Plötzensee ausgeführt wird. Ein Teil der Gefangenen erhält noch geistlichen Zuspruch von den Gefängnisspfarrern Poelchau und Buchholz.
Es folgen weitere Prozesse und weitere Verurteilungen zum Tode. Insgesamt werden vom 8.8.1944 bis 9.4.1945 in Plötzensee 89 Menschen, die den Widerstand unterstützt hatten hingerichtet.
Weitere Prozesse folgen, weitere Todesurteile folgen, weitere grausame Taten folgen.
In der Zeit des Nationalsozialismus werden in Plötzensee über 2891 Menschen Opfer der justizförmigen Tötung.
Als ich die Listen der Verurteilten gelesen haben, die Geschichte dieses Ortes gelesen habe, wurde mir ganz anders. Auch der Besuch der Gedenkstätte, die hier seit 1952 existiert, lässt das grausame Treiben der Nationalsozialisten sehr deutlich werden.
Sehr nachdenklich verlasse ich den Ort und begebe mich auf den „Pfad der Erinnerung“, der nun seinem Namen alle Ehre macht. Denn nach diesem Besuch erinnert man sich wirklich.
Adresse:
Hüttigpfad
13627 Berlin
Öffnungszeiten:
täglich 9-17 Uhr
November – Februar: 9-16 Uhr
geschlossen. 24.-26.12., 31.12., 1.1.
https://www.gedenkstaette-ploetzensee.de/
Eintrittspreise:
kostenlos
Evangelische Gedenkstätte Plötzensee
Von der Gedenkstätte Plötzensee führt uns der Weg durch eine Laubenkolonie. Hier sollte man gut gucken, die Hinweisschilder, wie der Weg weiter geht sind manchmal etwas versteckt angebracht.
Nach dem kleinen Spaziergang, der meinen Gedanken wirklich gut tut, komme ich am nächsten Ort auf dem „Pfad der Erinnerung“ an.
Die Kirche liegt zwischen Kleingärten und der Paul-Hertz-Siedlung am Heckerdamm in Charlottenburg-Nord. Von außen wirkt das ganze auf mich nicht wirklich so, wie man sich eine Kirche vorstellt. Es ist ein Betonbau, der 1970 eingeweiht und bei dem bewußt auf architektonische Zeichen verzichtet worden ist. Nur das Betonkreuz zeigt an, dass es hier eine Kirche gibt. Man erreicht den Kirchenraum über ein Rampe und durch eine schlichte Glastür, die mich eher an die Türen meiner alten Schule erinnert.
Die gesamte Anlage umschließt einen kleinen Innenhof. Zur Straße hin steht ein Gebäude, in dem heute Wohnungen und eine Physiotherapie Praxis untergebracht sind. Ursprünglich waren hier der Hausmeister, ein Jugendkeller mit Kegelbahn, Schwesternwohnungen und Gemeinderäume untergebracht. Weitere Gebäudekomplexe sind das Pfarrhaus und ein Kindergarten.
Leider konnte ich die Kirche nicht von Innen besichtigen. Was aber schon von außen zu erkennen ist, der Kirchenraum ist fensterlos und quadratisch. Das ist doch, so finde ich, sehr untypisch für eine Kirche. Nachgelesen habe ich, dass es Oberlichter geben soll, durch die das Licht in die Kirche fällt. Die Wände im Kirchenraum sollen aus grauem Sichtbeton sein und es gibt ein Kunstwerk, mit dem Titel „Plötzenseer Totentanz“ eines Wiener Künstlers (Alfred Hrdlicka), das wohl sehr bekannt ist. Er bezieht sich auf die mittelalterlichen Totentänze und verweist auf die heutige Bedrohung durch Gewalt, Macht und Willkür. Der Künstler zeigt auch einen Balken mit Fleischerhaken und zieht damit eine Verbindung zum Hinrichtungsschuppen in der heutigen Gedenkstätte Plötzensee.
Adresse:
Heckerdamm 226
13627 Berlin
Öffnungszeiten:
Montag und Donnerstag: 16-18 Uhr
Katholische Gedenkstätte Maria Regina Martyrum
Punkt Nummer drei auf dem „Pfad der Erinnerung“ ist nur wenige Schritte entfernt und ehrlich gesagt erschlägt mich die katholische Gedenkstätte aus architektonisch betrachteter Sicht.
An einer hohen Mauer steht ein Turm mit einigen Glocken, nicht besonders schön, aber passend zur Zeit. Die Gedenkkirche ist 1963 eingeweiht worden und das passt genau in diese Zeit.
Noch bevor ich das Gelände betrete, entdecke ich an der Außenmauer Schrifttafeln. Ein bißchen schwer zu lesen sind die Texte, so finde ich, da die Worte alle zu einheitlich aussehen und kaum Trennungen zwischen den einzelnen Worten zu erkennen sind. Klar wird aber, dass es Texte von Papast Pius XII. und Kardinal Döpfner sind. Sie stellen in ihren Texten die Bedeutung der Gedenkstätte dar.
Ich trete durch ein Tor und stehen auf einem großen leeren Platz, von dem aus ich auf einen optisch fast schwebenden Betonklotz mit einer weißen Fassade gucke. Aufgelagert ist der Klotz scheinbar nur auf der Begrenzungsmauer und dem Eingangsbereich.
Zunächst begebe ich mich auf Spurensuche rund um die Kirche.
Ich gehe über den großen Platz, der als Feierhof bezeichnet wird. Hohe schwarz-graue Wände aus Beton begrenzen den Hof. Etwas erinnern diese Wände mich an die nahezu unüberwindlichen Mauern eines Gefängnisses. Ich gehe zunächst an der Außenmauer entlang. Hier hängen Kunstwerke, die die verschiedenen Stationen des Kreuzweges darstellen. Dann erreicht man den Altar, der geschützt unterhalb des Bauwerks steht. Auch er ist ein Kunstwerk des Künstler Hajek. Nachdem ich einmal um den ganzen Hof gelaufen bin, betrete ich die Kirche.
In der Vorhalle führt eine Treppe in den oberen Stock und ich entdecke zwei Türen im hinteren Bereich. Ich entschließe mich zunächst einen Blick hinter die Türen zu werfen.
Als ich die Tür öffne stehe ich in der Unterkirche. Ein paar Stufen geht es herunter in einen Raum, der nur schwach beleuchtet ist. Nur einige Kerzen beleuchten eine Skulptur. Dahinter liegt ein kleiner Gebetsraum und neben dem Altar befinden sich zwei Grabstätten von zwei Blutopfern des Nationalsozialismus (Bernhard Lichtenberg und Dr.Erich Klausener). Zwischen beiden Gräbern liegt ein symbolisches Grab mit der Inschrift “Allen Blutzeugen, denen das Grab verweigert wurde.
Allen Blutzeugen, deren Gräber unbekannt sind.”
Es ist eine unglaubliche Stimmung in diesem Raum – ruhig und gleichzeitig bedrückend.
Nun geht es die Treppe hinauf in die Oberkirche. Mein erster Blick fällt auf den Taufstein, der in Verlängerung der Treppe steht. Der Taufstein sieht sehr modern aus. Ein zylindrischer Grundkörper mit einen Becken aus Bronze.
Der Innenraum der Kirche ist eine wirkliche Überraschung. Von außen hat man keine Fenster gesehen und trotzdem schein das Licht von außen den Raum zu erhellen. Hinter dem Altar leuchtet ein riesiges modernes Bild. Ich bin nicht so der Kunstkenner und erkenne nicht wirklich was der Künstler dort zeigen wollte. Aber es gefällt mir und für mich wirkt der Raum, auch durch die Nutzung des Betons modern, freundlich und so vollkommen anders, als man es von anderen Gotteshäusern so kennt.
Kleiner Tipp am Rande: Direkt neben der Gedenkstätte liegt das Kloster der Karmelitinnen und in einem Klosterladen kann man auch kleine leckere Köstlichkeiten erwerben.
Adresse:
Heckerdamm 232
13627 Berlin
Öffnungszeiten:
täglich 10-14 Uhr
Evangelische Sühne-Christi-Kirche
Der letzte Punkt auf dem „Pfad der Erinnerung“ ist die Evangelische Sühne-Christi-Kirche, die ich vom Halemweg kommend erreiche.
Die Kirche ist 1962-64 ganz im Stil der Moderne erbaut worden und passt sich optisch in das zeitgleich erbaute Wohngebiet an. Der Kirchenbau ist sechseckig und hat einen separat stehenden dreieckigen Turm. Von außen wirkt der Bau, auch durch die weiße Farbe an den Ziegelsteinwänden sehr schlicht. Durch eine Glastür kann man einen Blick in den recht schlichten Innenraum der Kirche werfen. Die Wände bestehen aus unverputzten roten Lochziegeln, ein Fensterband verläuft direkt unterhalb des Daches.
Vor der Kirche befindet sich eine Gedenkmauer. Hier stehen Namen, die heute Synonyme für das Leid vieler Menschen sind: Plötzensee, Auschwitz, Hiroshima, Mauer. Davor befindet sich ein Zitat aus der Bibel, dass als Mahnung dienen soll: “Horch, das Blut deines Bruders schreit zu mir von der Erde” (1. Mose 4,10)
Die Gedenkmauer zieht sich bis in die Kirche – vorbei an einer gemauerten Sanduhr (Zeichen des Lebens, dass verrinnt) bis zum Wort „Golgatha“ – dem Ort, an dem Jesus ans Kreuz geschlagen worden ist.
Hier endet der „Pfad der Erinnerung“ und, so muss ich zugeben, ein Stadtspaziergang der mich wirklich emotional mitgenommen und beeindruckt hat. Ich habe wieder eine Menge über meinen Wohnkiez gelernt und sehe nun einiges mit ganz anderen Augen.
Adresse:
Toeplerstraße/Ecke Halemweg
13627 Berlin
Öffnungszeiten:
nach dem Gottesdienst oder nach Vereinbarung
Der Vorraum ist täglich geöffnet und man kann durch eine Glastür in die Kirche gucken.
Kleiner Nachtrag: Friedhof Plötzensee
In Berlin Wedding, nicht weit entfernt von der Gedenkstätte Plötzensee, liegt fast vergessen der Friedhof Plötzensee.
Hinter einem robusten Zaun an der Straße Dohnagestell befinden sich Grabfelder für 2982 namentlich aufgeführte Kriegstote der Weltkriege, aber auch viele Tote, deren Identität bis heute ungeklärt ist.
Kleine in den Boden eingelassene Steintafeln erinnern und mahnen zugleich.
Eine dreieckige Stele mit zwei Kreuzen auf dem Hauptweg erinnert mit der Innschrift: DEN TOTEN DES WELTKRIEGES 1939 – 1945 ZUM GEDENKEN DEN LEBENDEN ZUR MAHNUNG UND VERPFLICHTUNG
Auf einer Hinweistafel am Eingang des Friedhofs kann man nachlesen, dass auch hier Opfer nationalsozialistischer Gewalttaten aus verschiedenen Konzentrationslagern und Zuchthäusern beerdigt worden sind. Darunter auch Gefangene aus der Strafanstalt Plötzensee und dem Moabiter Zellengefängnis.
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