Ich gebe es zu, eine Führung durch ein Krematorium hört sich zunächst merkwürdig an, bis man erfährt, was sich heute in dem Gebäude befindet.
Eher durch Zufall bin ich auf eine wirklich außergewöhnliche Führung aufmerksam gemacht geworden. Der neue Besitzer des Krematoriums Wedding bietet einen Rundgang an, der nicht nur zur Geschichte des Gebäudes etwas erzählt, sondern auch die Zukunft anschaulich darstellt.
Krematorium Wedding – es war einmal…
Die Bevölkerung in Berlin wuchs und zunehmend machte sich das Problem der Unterbringung von Toten bemerkbar. Das Thema Feuerbestattung wurde immer populärer, auch wenn die Kirchen sich eindeutig dagegen aussprachen. Für sie war die Verbrennung eines Körpers etwas gottloses. Dennoch war die Bestattung in einer Urne in Preußen seit 1891 erlaubt. Nur die Verbrennung des Körpers war verboten.
Es gab aber auch Ärzte, Hygieniker und den Verein für Feuerbestattung, die sich eindeutig für die Feuerbestattung aussprachen. Sie hielten diese Art der Bestattung im Gegensatz zur Erdbestattung als wesentlich raumökonomischer und hygienischer (vor allem für das Grundwasser der Stadt).
Lange kämpfte der Verein für Feuerbestattung für sein Recht und konnten 1906 einen ersten Teilerfolg verbuchen. Trotz des gesetzlichen Verbotes der Feuerbestattung, wurden ihnen der Bau einer Urnenfeierhalle und eines Urnenhains genehmigt. Als Standort konnten sie einen 1828 angelegten und inzwischen geschlossenen Friedhof im Wedding nutzen.
Der Architekt William Müller plante die Halle mit der zusätzlichen Möglichkeit, gegebenenfalls mit geringem Aufwand, aus der Urnenhalle ein Krematorium zu machen. So wurden beim Bau bereits der Schornstein, ein Sargaufzug und das Fundament für den Einbau des Verbrennungsofens eingeplant.
Nachdem 1911 die Feuerbestattung legalisiert wurde, konnte so innerhalb kurzer Zeit der Einbau einer Verbrennungsanlage nach Siemens erfolgen und schon im November 1912 gab es im Krematorium Wedding die erste Einäscherung eines Verstorbenen. Bis zum Jahresendes waren es bereits 66 Einäscherungen. Schon 5 Jahre später verzeichnete man fast 2000 Einäscherungen.
Die vorhandene Kapazität reichte nicht aus und musste ein dritter Ofen eingebaut werden. In den 1920er errichtete man eine „Nothalle“ aus Holz. Hier konnten man Särge einlagern. Zusätzlich installierte man ein spezielles Kühl- und Belüftungssystem mit 113 Kühlschränken.
Nutzung des Krematoriums von 1930 – 1945
1936 reichten auch diese Kapazitäten nicht mehr aus und es wurde ein zeitgemäßer Erweiterungsbau mit einer zweiten Feierhalle errichtet. Die hölzerne Halle wurde durch einen Neubau mit 140 Sitzplätzen ersetzt.
In der Zeit der Nationalsozialisten wurden dem Krematorium „Sonderaufgaben“ zugewiesen. Es gibt Hinweise darauf, dass hier politische Gegner des NS-Regierung spurlos beseitigt worden sind. Es gibt aber keine Hinweise auf eine mögliche Beteiligung an den Morden der jüdischen Bevölkerung.
Während des Zweiten Weltkrieges war das Krematorium ununterbrochen in Betrieb. Auch während des Fliegeralarms wurden die Öfen befeuert.
Die Nachkriegszeit (1945 – 2013)
Nachdem die schlimmsten Kriegsschäden beseitigt waren, konnte das Krematorium Wedding Ende 1945 seinen Betrieb vollständig wieder aufnehmen.
Der Winter 1969/70 und eine Grippewelle brachten das Krematorium an seine Belastungsgrenzen. Auch der Neubau einer Anlage in Ruhleben konnte zunächst nur kurzzeitig eine Entlastung bringen. 1982 baute man 4 neue Öfen und eine moderne Filteranlage ein. Wenn im Dreischichtsystem gearbeitet wurde, konnten so 9000-10000 Einäscherungen jährlich vorgenommen werden.
Nach der Wende gab es für die Berliner Bevölkerung drei Krematorien – Wedding, Ruhleben und Baumschulenweg. Das Krematorium in Treptow musste zunächst aufgrund zu hoher Schadstoffbelastung geschlossen werden.
Das Bezirksamt Wedding ließ zwischen 1998 und 2000 für 3,2 Millionen DM Modernisierungen im Weddinger Krematorium vornehmen. Man errichtete eine unterirdische Halle mit 817 Leichenlagerplätzen und 11 Seziertischen.
Ende 2002 schloss die Stadt das Krematorium Wedding. In Treptow hatte man 1999 ein neues Krematorium errichtet und nun gab es eine Überkapazität. Wedding wurde trotz neuster Anlagen nicht mehr benötigt.
Der Urnenfriedhof wurde vom Krematorium getrennt und dieses zum Verkauf ausgeschrieben. Sämtlich Inneneinrichtung blieb erhalten.
Das Krematorium Wedding – Stand 2018
2013 kaufte silent green die Anlage und errichtet seitdem hier ein Kulturquartier. Erste Umbau- und Renovierungsmaßnahmen ließen bereits Büros, Ateliers, Ausstellungsflächen und ein Café entstehen.
Zur Zeit finden weitere Umbaumaßnahmen statt, die vor allem in der unterirdisch liegenden Halle neue Eventbereiche entstehen lassen.
Ungewöhnliche Besichtigung
Unsere Besichtigung führte uns zunächst vor das denkmalgeschützte Gebäude. Man steht in einem kleinen Vorhof vor der Haupthalle. Rechts und links befinden sich Flügelbauten. Diese sind als Kolumbarien genutzt worden. Heute erinnert nicht mehr viel an die ursprüngliche Nutzung. Hier befinden sich Büros und Wirtschaftsräume. Nur noch die Umrisse von Grabplatten sind sichtbar. Diese wurden im Zuge der denkmalgerechten Umgestaltung leider entfernt.
Bei der Architektur des Krematoriums hatte William Müller einiges zu beachten. Er musste den Spagat zwischen der christlichen Tradition und der neuen weltlichen Bestattungsform schaffen. Betrachtet man zum Beispiel die Figur über der Eingangstür zur Haupthalle wird dieses recht deutlich. Die Frauenfigur ist bewußt vieldeutig gestaltet worden. Man kann in ihr eine Figur aus der Antike, eine Marienfigur oder eine Tempeldienerin erkennen, je nachdem, welche Betrachtungsweise bevorzugt ist. Auch die beiden Greife am Eingang zum Innenhof stammen nicht aus dem christlichen Glauben, sondern lassen sich eher mit den Bewachern von Sarkophagen vergleichen.
Die Trauerhalle
Wir betreten durch eine Tür, an der noch immer schwach der Schriftzug Bitte Ruhe zu erkennen ist, die Trauerhalle. Das Licht ist schummerig, ich entdecke keine Fenster.
Die Trauerhalle ist achteckig und erinnert ein bißchen an einen römischen Kuppelbau. An den Wänden entdeckt man noch einige der über 400 Urnennischen – heute aber ohne Urnen. Die Urnennischen konnten bei der Neugestaltung des Raumes wieder hergestellt werden.
In den 30er Jahren, als hier Trauerfeiern im 20 minütigen Takt stattfanden, störten es die Trauernden, wenn Angehörige die Grabstätten in der Trauerhalle besuchten. Kurz entschlossen lagerte man die Urnen um und verputzte die Flächen.
Mir fällt als erstes der Terrazzoboden ins Auge. Er ist zweifarbig gestaltet. Neben geometrischen Formen befindet sich auch das Abbild einer Schlange im Boden. Wir erfahren, dass die Schlange bei den Freidenkern das Symbol für die Transformation und den Neubeginn ist.
Direkt gegenüber von der Eingangstür steht heute eine Bühne. Inzwischen wird dieser Raum für Veranstaltungen genutzt. Was man dadurch heute nicht mehr sieht, ist der Ort, an dem früher der Sarg stand. Die Sargversenkungsanlage gibt es heute auch nicht mehr. Früher öffnete sich diese am Ende der Trauerfeier und der Sarg versank im Boden. Die gesamte Technik für die Einäscherung befand sich unterirdisch und war für die Trauernden nicht sichtbar.
Mich beeindruckt der Raum durch seine Schlichtheit. Es ist eben nicht wie in einer Kirche, hier konnte sich auch der nicht an den christlichen Glauben orientierende Trauernde angesprochen und geborgen fühlen.
Der Ofenraum
Unterhalb der Trauerhalle befindet sich der Ofenraum. Die versenkten Särge wurden vollautomatisch auf kleinen Wagen mit Hilfe von Magnetspulen hier her transportiert.
Wir treten in den Raum, der heute als Lagerraum dient. Hier erinnert kaum noch etwas an die ursprüngliche Aufgabe in diesem Raum. Lediglich die Kachelung, die noch im Jahr 2000 erneuert wurde, könnte Aufschluss geben, wo wir gerade stehen. Hinter einer kleinen Tür befinden sich noch einige Urnennischen und man hat hier die Metallplatten einer Sargversenkungsanlage aufgehängt.
Ich muss zugeben, auch wenn der Raum kaum noch etwas von seinem ursprünglichen Charakter aufweist, hier fühle ich mich überhaupt nicht wohl und so bin ich froh, dass wir das Gebäude verlassen.
Über den Schornstein
Bei jedem Krematorium fällt zuerst der Schornstein in Auge. So auch im Wedding.
Wir stehen im Bereich der früheren “Anlieferungszone” am Pförtnerhaus der Anlage. Von hier aus kann man einen Blick auf den gewaltigen Schornstein werfen.
Dabei erfahren wir, dass dieses nicht der Schornstein ist, der vom Architekten geplant worden war. Dieser Schornstein befindet sich auf dem Dach der Trauerhalle.
Es war gewollt, dass der technische Aspekt der Feuerbestattung möglichst unsichtbar für die Bevölkerung bleiben sollte und so sah der Schornstein aus wie eine Laterne. Erst nachdem sich viele Weddinger über den Russ in ihren Wohnungen beschwerten und der Rauch zur Belastung für die Anwohner wurde, entschied man sich, einen 50 Meter hohen Schornstein zu bauen.
In der unterirdische Halle
Während unseres Besuches im Krematorium Wedding konnten wir auch in die unterirdisch angelegte neuere Halle der Anlage gehen. Im Zuge der Umbaumaßnahmen finden hier (Stand 2018) große Veränderungen statt und so standen wir in einer unterirdischen Großbaustelle. Hier soll eine Eventhalle, ein Kinosaal und eine Bar entstehen.
Über die ehemalige Anlieferungsrampe gelangten wir in die Leichenhalle. Als silent green das Krematorium kaufte standen hier noch alle Einrichtungsgegenstände. Vom Seziertisch über die Kühlfächer, bis hin zu riesigen Lagerungsflächen für Särge – nach der Schließung der Anlage blieb alles, wie es war.
Heute ist hier nichts mehr so, dass es daran erinnern könnte, wo man sich befindet. Vielleicht ist das auch ganz gut so. Wir erfahren, dass wir gerade an einer Stelle stehen, wo früher 11 Seziertische standen. Ob man das unbedingt wissen möchte, wenn man hier feiert? Ich bin mir nicht sicher…
Allerdings bin ich auch gespannt, wie sich die Räume hier verändern werden und bestimmt schauen wir zum Ende der Baumaßnahmen mal vorbei.
Die Führung durch das Krematorium Wedding wird von silent green durchgeführt. Genau Termine kann man der Webseite entnehmen. Ich fand es sehr interessant und sehr ungewöhnlich einen solchen Ort zu entdecken. Der Besuch hat sich auf jeden Fall gelohnt!
Neeltje Forkenbrock
Ich wusste gar nicht, dass Feuerbestattungen so lange verboten waren. Ich bin froh, dass rationale Argumente in diesem Fall gesiegt haben. Ich persönlich möchte auch eine Feuerbestattung für den Fall, dass ich einmal sterbe.
Louise
Ist bestimmt eine Interessante Erfahrung, wenn man sich mal ein Krematorium zeigen lässt. So kann man die Feuerbestattung besser verstehen und bei einem Trauerfall in der Familie vielleicht besser damit umgehen. Interessant ist auch, wie es im Gebäude und darin aussieht.
Michael Grimm
Hallo Susanne
Ich werde mit Helma diese Führung auch mal mitmachen. Finde es spannen solche Locations zu finden und freue mich auf weitere Anregungen.
Helma Grimm
Im Sommer 1964 habe ich in diesem Krematorium an der Trauerfeier für einen lieben Menschen teilgenommen. Die Räumlichkeiten waren beeindruckend, feierlich und stimmungsvoll. Ich bewegte mich als junger Mensch vorsichtig und respektvoll, was auch durch die beeindruckende Architektur ausgelöst wurde.
Elena
Liebe Susanne,
das ist ja mal ein ganz anderer Artikel – total interessant. Wir Österreicher haben in Wien unseren Zentralfriedhof, der auch als Touristen Ziel bekannt ist und bei meinen Reisen wurde ich auf eine ganz besondere Familiengrabstätte hingewiesen: Tomba Brion in S. Vito von Altivole (Venetien). Aber etwas Vergleichbares wie du habe ich noch nie gesehen.
Liebe Grüße
Elena
Michelle | The Road Most Traveled
Wow, was für eine spannende Führung!
Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass das heute für Büroräume und Events genutzt wird.
Wenn man bedenkt, dass dort mal Leichen und Verbrennungen waren.
Wahnsinnig spannender Artikel!
Liebe Grüße,
Michelle | The Road Most Traveled
Barbara
Solche Locations liebe ich ja! Es ist klasse, dass es immer mehr solche Themenführungen oder Führungen in speziellen Gebäuden gibt. Das Krematorium melde ich mir für den nächsten Berlin-Besuch!
Kathi
Liebe Susanne,
wow, ein wirklich sehr interessanter Artikel. Irgendwie hat man auch beim Lesen ein mulmiges Gefühl. Das liegt vermutlich daran, dass du uns an deinem Gang durch das Krematorium Schritt für Schritt teilhaben lässt.
Ich muss gestehen, dass ich die Trauerhalle sehr interessant und auch irgendwie schön finde. Sehr beeindruckend. Tolle Einblicke.
Viele liebe Grüße
Kathi
Susanne Jungbluth
Ich gebe zu, an einigen Stellen war die Führung schon bedrückend. Vor allem, weil man ja weiß, dass hier jahrelang Beerdigungen stattgefunden haben.