In Berlin Tegel zwischen der ständig rauschenden Autobahn und Industriebetrieben liegt Berlins einziger ziviler russisch-orthodoxer Friedhof. Der Friedhof ist Eigentum der Bruderschaft des heiligen Fürsten Wladimir.
Bei unseren Streifzügen durch die Stadt zog es uns auf diesen recht ungewöhnlichen Friedhof. Das Gelände ist nicht besonders groß und leider konnten wir aufgrund einer Trauerfeier nicht in die Kapelle gucken. Es war trotzdem ein sehr interessanter Besuch, der uns einen etwas anderen Friedhofseindruck vermittelt hat.
Wie Berlin zu einen russisch-orthodoxen Friedhof kam
Die russische Gemeinde in Berlin wuchs im 17. und frühen 18. Jahrhundert stetig an. Mit der Eröffnung der russischen Gesandtschaft in der Stadt kam zusätzlich der Wunsch nach einer orthodoxen Kapelle auf.
Zunächst nutzte die Gemeinde private Räume, ab 1718 eröffnete man in den Räumen der Botschaft eine ständige Kapelle. Zog die Botschaft in neue Räume um oder wurde in Kriegszeiten evakuiert, zog auch die Kapelle um. Ein Vorgang, der natürlich für die Gemeindemitglieder nicht besonders angenehm war.
Was der Gemeinde allerdings über viele Jahre fehlte, war ein eigener Friedhof. Erst 1890 begann der Erzpriester der Botschaftskapelle Alexei Malzew mit der Bruderschaft des heiligen Fürsten Wladimir sich nach einem geeigneten Gelände umzusehen. Zwei Jahre später konnte die Gemeinde ein etwa 18.000 m² großes Gelände kaufen, auf dem sie auch ein Gotteshaus erbauen wollte.
Ein deutscher Architekt bekam den Auftrag, das Kirchengebäude zu errichten. Er plante einen Bau, der sich an der Basilius-Kathedrale in Moskau orientierte und mit seinen fünf zwiebelartigen Kuppeln in Berlin einzigartig war.
Zusätzlich entstanden auf dem Gelände ein Pförtnerhaus und einige Wirtschaftsgebäude. Hier konnten Bedürftige in der Gärtnerei oder der Setzerei, die Übersetzungen russischer liturgischer Texte in die deutsche Sprache anfertigte, eine Arbeit finden.
Warum mitten in Berlin-Tegel russische Erde liegt…
Die orthodoxe Tradition sieht vor, dass ihre Toten in heimatlicher Erde beigesetzt werden sollen. Berliner Erde ist nicht die Erde der Heimat und so musste eine Lösung gesucht werden.
Kaiser Alexander III. veranlasste, dass 4000 Tonnen russische Erde nach Tegel transportiert wurden. In 50 verschiedenen Regionen trug man diese zusammen und brachte sie auf 4 Eisenbahnzügen nach Berlin. So konnte man das gesamte Gelände mit einer gut 5 cm dicken Erdschicht aus der Heimat bedecken und die Toten guten Gewissens der Tradition nach beerdigen.
Im Juni 1894 fand schließlich die offizielle Einweihung der Begräbnisstätte statt.
Entwicklung der russisch-orthodoxen Gemeinde in Berlin
Die Gemeinde legte noch vor dem Ersten Weltkrieg im Bruderhaus Alexander III. eine Bibliothek mit 3000 Bänden an und stellte in einem Geschichtsmuseum Ikonen und Bilder aus. Es entwickelte sich ein gut laufender wirtschaftlicher Betrieb, der es ermöglichte, weitere orthodoxe Kirchen in Deutschland zu gründen.
Der 1. Weltkrieg brachte das Unternehmen und das Gemeindeleben der Bruderschaft nahezu zum Erliegen. Nach dem Krieg begannen die Gemeindemitglieder das Bruderhaus als Anlaufstelle für russische Emigranten zu nutzen. Man baute Unterkünfte, Schulen und legte auf dem Friedhof Gräber für Opfer des Ersten Weltkrieges und des Russischen Bürgerkrieges an. Der russisch-orthodoxe Friedhof in Tegel entwickelte sich zur letzten Ruhestätte des russischen Adels, hochrangiger Offiziere, Künstler und Intellektueller. In dieser Zeit entstanden viele, zum Teil bis heute erhaltene, prachtvolle Erbbegräbnissstellen. Aber natürlich war der Friedhof allen Mitgliedern der Gemeinde zugänglich und jeder konnte dort in heimatlicher Erde beigesetzt werden.
Im Zweiten Weltkrieg wurden die Gebäude der Bruderschaft zum Teil stark beschädigt. Das inzwischen über die Grenzen der Stadt bekannte Archiv ging verloren und die Kunstschätze wurden geplündert. Auch Grabstellen wiesen nach dem Krieg Schäden auf und man reparierte sie später. Wer heute den Friedhof betritt, kann am Eingangstor in der Wittestraße neun Glocken sehen. Dabei handelt es sich um Glocken, die die deutsche Armee geraubt und und nach Deutschland transportiert hat. Diese wurden nach dem Krieg von der Roten Armee sichergestellt.
Die Bruderschaft musste nach dem Krieg den Friedhof an die neue Kirchengemeinde des Moskauer Patriarchats in Berlin übergeben. Über viele Jahre kämpften sie darum, ihr Eigentum zurück zu bekommen und 1967 entschied das Gericht endlich für die Gemeinde. Auf Druck der sowjetischen Regierung verhinderte die französische Besatzungsmacht, in dessen Gebiet das Gelände lag, die Vollstreckung des Urteils. 1970 musste die Bruderschaft den Kampf aufgeben. Die finanziellen Mittel waren erschöpft und so verkauften sie das Gelände an die Stadt Berlin. Diese ließ das Bruderhaus abreißen und wandelte es in Gewerbeflächen um. Das Friedhof und die Kirche übergab man dem Moskauer Patriarchat.
Und heute?
Im späten 20. Jahrhundert verlor der Friedhof immer mehr an Bedeutung. Viele der Grabstätten verfielen. Inzwischen lassen sich wieder in Berlin lebende Emigranten dort bestatten. Die denkmalgeschütze Kirche konnte die Gemeinde mit Hilfe von privaten Spendengeldern restaurieren. Seit 2006 befindet sich das Gelände und die Kirche wieder im Besitz der Bruderschaft.
Russisch-orthodoxer Friedhof – ein Rundgang
Wir betreten das Gelände von der Wittestraße durch ein altes Eingangstor. Direkt dahinter parkten bei unserem Besuch zahlreiche Autos.
Die Kapelle des Friedhofs mit dem wunderschönen Namen St.-Konstantin-und-Helena-Kirche steht in der Mitte der Anlage. Ich finde sie wunderschön. Vier blaue Zwiebeltürme an jeder Ecke des Gebäudes und in der Mitte ein hoher Turm mit einer Zwiebelhaube auf dem das Andreaskreuz steht, dominieren den Gesamteindruck. Guckt man etwas genauer hin, kann man erkennen, dass das Andreaskreuz einen doppelten Querbalken hat.
Bei einem Rundgang über das Gelände fallen sofort die weißen Andreaskreuze, aber auch die schlichten Holzkreuze auf. Einige stehen auf efeubewachsenen Grabhügeln, andere an kleinen mit Steinen eingefassten Grabstätten. Traditionell sind diese in Ost-West-Richtung angelegt. Die Kreuze bestehen aus drei Balken, der untere ist schräg angeordnet und bildet eine Linien von der Erde in Richtung Himmel. Ich habe mal gelesen, dass es einen Wegweiser zum Himmel symbolisieren soll.
Ich entdecke aber auch Grabstellen, die eher an die im Berliner Raum üblichen Grabgestaltungen erinnern. Hier stehen die Grabsteine an den umrandeten Grabstellen. Was mir noch auffällt, ist dass es relativ wenig auffällig bepflanzte Gräber gibt. Viele der Grabanlagen sind mit Efeu oder Gras bewachsen oder haben eine steinerne Abdeckung, nur auf wenigen Gräbern stehen Blumen.
Der russisch-orthodoxe Friedhof ist ein bemerkenswerter Ort, der etwas grün und viel Ruhe in eine sonst sehr triste Gegend bringt.
Adresse:
Wittestraße 37,
13509 Berlin
Öffnungszeiten:
8-17 Uhr
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