Etwa 4 Millionen Menschen verließen von 1949 bis 1990 die DDR. 1,35 Millionen kamen im Notaufnahmelager Marienfelde an. Hier endete ihre Reise aus der DDR und begann die Reise in ein neues Leben.
Notaufnahmelager in Marienfelde
1953 errichtete man das Notaufnahmelager in Marienfelde, das die zentrale Anlaufstelle für Flüchtlinge und Übersiedler wurde. Zunächst waren das Menschen aus der DDR, später kamen auch deutschstämmige Menschen aus Osteuropa und Ländern der Sowjetunion nach Berlin.
In der Einrichtung versorgte man die Neuankommlinge mit allem Lebensnotwendigen und sie durchliefen das Aufnahmeverfahren für die Bundesrepublik Deutschland.
Im Sommer 1990 schloss man den Standort, da die Zuwanderungszahlen zu gering waren. Lange standen die Räume nicht leer. Bereits im Dezember 2010 richtete man ein Übergangswohnheim für Flüchtlinge und Asylbewerber ein, das bis heute betrieben wird.
Erinnerungsstätte Notaufaufnahmelager Marienfelde
In einigen Räumen des Notaufnahmelagers ist das zentrale Museum in Deutschland entstanden, dass sich mit dem Thema Flucht und Ausreise aus der DDR beschäftigt. Die Ausstellung beschäftigt sich nicht nur mit der deutsch-deutschen Teilungsgeschichte, sondern auch mit dem Prozess der Abwanderung aus der DDR und der Einwanderung in die Bundesrepublik.
Entstanden ist die Erinnerungsstätte durch eine Initiative von ehemaligen Flüchtlingen, Mitarbeitern des Notaufnahmelagers und Wissenschaftlern. Seit 2009 gehört sie zur Stiftung Berliner Mauer.
Rundgang durch die Dauerausstellung in der Erinnungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde
Die Dauerausstellung erstreckt sich über einige Räume auf zwei Etagen. Jeder Raum ist thematisch auf einen Schwerpunkt ausgerichtet und mit Bildern, Dokumenten und Tonbeispielen museumspädagogisch aufgearbeitet. Es gibt jede Menge Informationen zu lesen, die auch viel zu Einzelschicksalen berichten und so einen sehr persönlichen Eindruck in das Leben der Menschen vermitteln.
Über die deutsch-deutsche Fluchtbewegung
Im Gang, der die ersten Räume der Ausstellung miteinander verbindet stehen Jahreszahlen und dazu die Anzahl der DDR Flüchtlinge zu diesem Zeitpunkt:
August 1950 – 20121 Menschen,
Mai 1952 – 9793 Menschen,
März 1953 – 58605 Menschen
usw.
Bis 1961 war die Flucht aus der DDR in die Bundesrepublik eine Entwicklung, die die DDR und auch die Bundesrepublik nicht ignorieren konnten.
Die DDR verlor viele Menschen, deren qualifizierte Arbeitskraft fehlte, um den wirtschaftlichen Motor am Laufen zu halten. Die DDR Regierung verlor aber auch ihr politisches Ansehen im In- uns Ausland, wäre es ein gut politisch und wirtschaftlich aufgestelltes Land gewesen, wären die Menschen nicht geflüchtet. Versuche die Ursachen der Fluchtbewegung im eigenen System zu suchen, unternahm die DDR nicht. Sie gab lieber den westlich Ländern die „Schuld“ und sprach vom Abwerben und der Illusion „Goldener Westen“. Erst der Bau der Mauer 1961 konnte den Flüchtlingsstrom eindämmen. Nun mussten die Menschen andere Wege finden, ihren Traum vom Leben zu verwirklichen.
Die Bundesrepublik und die westlichen Besatzungsmächte versuchten, den Zustrom der Menschen zu regulieren und zu kontrollieren. In den ersten Jahren nach dem Krieg waren die Neuankömmlinge nicht so gerne gesehen. Sie waren Konkurrenten in Bezug auf den knappen Wohnraum, die Lebensmittel und die Arbeitsplätze. 1950 entstand das Bundesnotaufnahmeverfahren, dass bis 1990 die Aufnahme der Übersiedler und Flüchtlinge regelte. Bis 1951 lehnte man gut zwei Drittel aller Anträge ab. Ab Mitte der 1950er lag diese Quote dann nur noch bei etwa 1%.
Mit der zunehmenden Durchlässigkeit des Eisernen Vorhangs ab 1989 setzte auch der Flüchtlingsstrom wieder ein. Die DDR-Flüchtlinge kamen nun über Ungarn oder die Tschechoslowakei. 1989 waren es innerhalb kurzer Zeit etwa 350000 Flüchtlinge, die auch zum Teil in Marienfelde im Notaufnahmelager den Antrag zur Einbürgerung stellten.
Sehr interessant fand ich den Bereich, der sich mit den wirklich sehr unterschiedlichen Gründen die DDR zu verlassen beschäftigte. Gerade, weil hier auf einzelne Fälle Bezug genommen wird, erscheint die Flucht für mich, die das ja nicht erlebt hat, plötzlich viel realer und nachvollziehbarer.
Wege in den Westen
Ein weiterer Schwerpunkt der Dauerausstellung ist die Darstellung der unterschiedlichen Wege, die die Flüchtlinge in den Westen genommen haben.
Bis 1952 gelangten viele Flüchtlinge über die sogenannte „Grüne Grenze“ auf direktem Weg an ihr Ziel. Im Mai 1952 verschloss die SED Regierung diese Route. Auf der 1400 Kilometer langen Grenze zur Bundesrepublik entstanden militärische Grenzanlagen, die eine Flucht auf diesem Wege verhinderten. Noch gelang es aber, innerhalb Berlins die Grenze zu übertreten. Die Fluchtbewegung verlagerte sich in die Stadt und wurde erst mit dem Mauerbau 1961 nahezu unmöglich.
Ab Mitte der 1970er Jahre stellten immer mehr Menschen einen Antrag auf Ausreise und Entlassung aus der Staatsbürgerschaft bei der zuständigen Behörde der DDR. Wer, wann und warum ausreisen durfte, war nicht klar zu erkennen.
Von 1963 bis 1989 kamen etwa 33000 politische Häftlinge aus DDR-Gefängnissen in die Bundesrepublik. Diese wurden bei geheimen Tauschgeschäften der beiden Regierungen für Devisen und Warenlieferungen frei gekauft. Meistens handelte es sich um Personen, die aufgrund von Fluchtversuchen, Fluchthilfe oder Ausreisebegehrens in Haft gelandet waren.
Auf dem Weg durch das Aufnahmeverfahren
Am längsten habe ich mich in dem Teil der Ausstellung aufgehalten, der sich mit der Bürokratie des Aufnahmeverfahrens beschäftigt. Beeindruckend dargestellt, so fand ich, sind die 12 Stationen, die jeder Flüchtling durchlaufen musste, bevor er erfuhr, ob er anerkannt wurde.
Die Anerkennung war wichtig, denn nur so bekam man Hilfen und hatte Anspruch auf eine Wohnung und Arbeitsvermittlung. Wer nicht anerkannt wurde, musste die Bundesrepublik zwar nicht verlassen, musste aber alleine zurecht kommen.
Ein Gesetz von 1951 legte bis 1990 das genaue Aufnahmeverfahren fest:
- Station: Ärztlicher Dienst – feststellen des aktuellen Gesundheitszustandes
- Station: Alliierte Sichtungsstellen – Befragungen zur Informationsgewinnung, Agenten enttarnen
- Station: Zuständigkeitsprüfung – Aussiedler oder Asylbewerber?
- Station: Fürsorgerischer Dienst – Versorgung mit Kleidung, Essensmarken…
- Station: Polizeiliche Anmeldung
- Station: Vorprüfung A – Erteilung Arbeitserlaubnis, Angaben von poltitischen Verhältnissen und Fluchtgründen
- Station: Vorprüfung B – Überprüfung u.a. durch Verfassungschutz, Bundesnachrichtendienst,
- Station: Terminstelle des Aufnahmeverfahrens – Terminvergabe für Erscheinen vor Aufnahmeausschuss
- Station: Schirmbildstelle – Gesundheitszustand
- Station: Bundesnotaufnahmeausschuss – Anhörung
- Station: Ländereinweisung – Zuteilung, in welches Bundesland man zu ziehen hat
- Station: Transportstelle – Termin für Abreise
Über das Leben im Notaufnahmelager
Besonders interessant fand ich auch den Themenkomplex, der sich mit dem Leben im Lager beschäftigt.
Bei der Eröffnung 1953 waren in 15 Gebäuden Unterkünfte für 1200 Menschen geschaffen worden. Es folgten noch 11 weitere Gebäude, so das sich die Kapazität auf 2800 Menschen erhöhte. Man orientierte sich beim Bau an den Standarts des sozialen Wohnungsbaus, schuf kleine Wohneinheiten mit Küche und Bad, Gemeinschaftsräume und Grünflächen.
Die Bewohner blieben etwa 1-2 Wochen, bis alle 12 Schritte des Aufnahmeverfahrens durchlaufen waren. In dieser Zeit trug das Land Berlin die Kosten für Unterkunft und Verpflegung. Am Ende der Ausstellung kann man eine rekonstruierte Wohnung mit originaler Möblierung aus den 1950er Jahren sehen.
Ich fand den Besuch in der Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde sehr interessant. Bisher hatte ich mich mit dem Thema „was passiert nach der Flucht“ nicht beschäftigt und umso mehr hat mich der Prozess interessiert.
Anschrift:
Marienfelder Allee 66/80
12277 Berlin
Anfahrt
S-Bahn 2, S-Bhf. Marienfelde,
Bus M77, Haltestelle Erinnerungsstätte Marienfelde
Öffnungszeiten
Dienstag-Sonntag: 10-18 Uhr
Die genauen Öffnungszeiten gibt es auf der Webseite.
Eintrittspreise:
Der Eintritt ist frei.
Offenlegung: Die Genehmigung in der Ausstellung zu fotografieren wurde mit von der Stiftung Berliner Mauer erteilt.
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