Berlin, Tag des offenen Denkmals 2018 – und ich habe endlich mal Zeit, eine der kostenlosen Führungen mitzumachen. Im Programm springt mir eine Führung zu einem Ort ins Auge, den ich nicht als Denkmal gesehen hätte.
Aber seit Dezember 2017 steht die Autobahnüberbauung Schlangenbader Straße unter Denkmalschutz. Ein guter Grund, sich etwas genauer mit dem Bauwerk auseinander zu setzen.
Warum hat man ein Haus über die Stadtautobahn gebaut?
Nach dem Mauerbau war in West-Berlin der Wohnraum knapp. Die Errichtung einiger Großsiedlungen am Stadtrand (z.B. Märkisches Viertel) führte zwar zur ersten Besserung der Situation, reichte aber bei weitem nicht aus. Es entstanden Planungsideen zur Verdichtung des Wohnraums in den Bezirken. Eine der vielen Möglichkeiten dazu bot sich im Bezirk Wilmersdorf an, als die Autobahntrasse der Stadtautobahn in Richtung Steglitz erweitert werden sollte.
Es wurde ein Wohnkomplex über der Autobahn geplant. Das sollte 5 Probleme lösen, die aus stadtplanerischer Sicht durch den Bau der Autobahnverlängerung auftraten:
- Die Lärmbelästigung durch die Autos konnte für die vorhandene Bebauung reduziert werden.
- Die Abgasbelastung sollte vermindert werden.
- Die Autobahn würde durch die Überbauung aus dem Sichtfeld der Anwohner verschwinden.
- Die Zerschneidung des Geländes durch die Autobahn würde durch die Autobahnüberbauung verhindert werden. Öffentliche Durchgänge sollten Abhilfe schaffen.
- Der Wohnraum über der Autobahn sparte wertvolles Bauland.
Über die Autobahnüberbauung Schlangenbader Straße Berlin
1970/71 begannen in Berlin die Bauarbeiten für die Stadtautobahn A104 in Richtung Steglitz. Die Planungen für die Überbauung wurden in dieser Zeit konkretisiert. Zu diesem Zeitpunkt gab es keinerlei Vorbilder, an denen sich die Architekten, Statiker und Bauingenieure hätte orientieren können. Also mussten Planungen über Erschütterungsübertragungen, Schalldämmung, Emissionsdämmung erarbeitet werden und, da die Autobahn ja überbaut werden sollte, Spannweiten und Lastenabführung genau analysiert werden.
Den Planern stand eine Fläche von 44.000 m² zur Verfügung, die mit Wohneinheiten, Naherholung und Freizeit/Einkaufmöglichkeiten gestaltet werden sollten. Entstanden ist eine 600 Meter lange Autobahnüberbauung, die von 1976 bis 1980 im Auftrag der degewo errichtet wurde. Die Baukosten lagen damals bei etwa 400 Millionen DM.
Unterwegs an der „Schlange“
Wir Berliner nennen die Autobahnüberbauung Schlangenbader Straße nur die „Schlange“. Wir erkunden das Gelände rund um und auch in der „Schlange“ während einer kostenlosen Führung, die von der degewo und einer Mitarbeiterin des Amts für Denkmalpflege durchgeführt wurde.
Zunächst fällt auf, dass das Gebäude nicht ganz gerade verläuft. Die Autobahn macht eine leichte Kurve und das Gebäude wurde dem Straßenverlauf angepasst. Dazu sind die Hauptelemente des Gebäudes werden an Knickpunkten, hier liegen die Treppenhäuser, unterbrochen worden.
Steht man vor dem Haus sieht man, dass es sich in drei Bereiche gliedert. Zunächst ein unterer Bereich mit einem terrassenartiger Sockel, dann ein Bereich mit Terrassen und Maisonettwohnungen und schließlich eine Fassade mit Fensterelementen. In jedem dieser Bereiche werden unterschiedliche Wohnungstypen und -größen vermietet.
Das vierte Stockwerk bildet eine herausgezogene Kante und liegt auf der Traufhöhe der umliegenden Gebäude.
Das unter diesem Haus eine Autobahn durchführt, mag man von diesem Standpunkt nicht glauben. Man hört auch keine Autobahn! Das Konzept der Schall- und Geräuschminimierung scheint gut zu funktionieren.
Man sieht auch keine Autobahn! Die Tunneleinfahrten sind etwa 50 Meter herausgezogen und beginnen so vor dem Gebäudekomplex.
Das Gartenkonzept rund um die Schlange wurde damals in die Planung mit einbezogen. Es entstand ein Anlage, die Bewohnern jeden Alters gerecht wird – es gibt Kinderspielplätze, ruhige Parkbänke und vor allem viele Pflanzen. Eine Besonderheit für die damalige Zeit, es wurden sogar extra Bereiche als Hundetoiletten angelegt. Etwa 500 Großbäume hat man bei der Gestaltung hier verpflanzt. Heute liegt eine kleine grüne Oase zwischen den Wohnhäusern, die gerne genutzt wird.
Unterwegs in der „Schlange“
Ich gebe zu, so richtig konnte ich mir die Bebauung nach der Außenbesichtigung noch nicht vorstellen. Das sollte sich aber ändern, als wir in das Gebäude gelangten.
In der Tiefgarage zeigte man uns nun einen Plan, der mir klar machte, wo ich gerade stand – nämlich unter der Autobahn!
Hier konnte man ganz leise die Autos über die Dehnungsfugen der Betonplatten fahren hören. Aber das war auch das einzige Geräusch, was man hören konnte. Die Röhren der Autobahn liegen auf speziellen Gummipolstern auf Pfeilern. Diese vermindern die Schwingungen und die Übertragung von Geräuschen.
Direkt über den Tunnelröhren befindet sich die 4.Etage der „Schlange“. In der damaligen Planung war vorgesehen, diese Etage als Kommunikationsebene zu nutzen. Hier sollten Angebote für die Bewohner aufgebaut werden, z.B. Kinder- und Jugendtreffpunkte, Hobbyräume. Das Konzept hat nicht so funktioniert, wie gedacht und so sind einige der Räume als Wohnungen umgestaltet worden.
Wir sind während der Führung durch einige Bereiche der Autobahnüberbauung Schlangenbader Straße geführt worden. Es war sehr interessant in eine Wohnung zu gucken und von der Gemeinschaftsterrasse und dem sonst nicht zugänglichen Dach im 13.Stock einen Blick auf den Bezirk zu werfen.
Es wurden viele Fragen von den Teilnehmern gestellt, die sich hauptsächlich um die Bauplanung, Finanzierung und den Erhaltung drehten.
Ich fand kleine Geschichten am Rande viel interessanter. Man stelle sich zum Beispiel vor:
In der „Schlange“ gibt es etwa 1700 Wohneinheiten (Hauptgebäude + Randbebauung). Nach der Beendigung der Bauphase wollten die Menschen natürlich möglichst schnell ihre neue Wohnung beziehen. Es wurden, um ein Chaos auf dem Gelände zu vermeiden pro Monat nur 2 Tage für den Einzug freigegeben. Immer 40 Wohneinheiten konnten dann bezogen werden. So füllte sich das Haus zwar langsam mit Bewohnern, aber die Umzüge konnten einigermaßen geregelt ablaufen.
Die Autobahnüberbauung Schlangenbader Straße ist ein Stück Architekturgeschichte in Berlin, die ich so bisher nicht wahrgenommen hatte. Für mich war es immer ein Haus über der Autobahn, durch das ich durchfahren musste. Es war sehr interessant zu erfahren, was alles hinter dem Bau steckt und ich gebe zu, an einigen Stellen hat mich die Informationsflut nahezu erschlagen. Gut, dass man einiges nachlesen kann und vor allem das Gebäude von außen immer wieder in Ruhe entdecken kann.
Helma Grimm
Ich erinnere mich an die ersten Durchfahrten……es war etwas unheimlich! Die Vorstellung :ich fahre durch ein Haus und über mir wohnen viele Menschen….und das unendliche hohe Gewicht auf der Stadtautobahn.Dies sind Gedanken eines Laien! Die Berliner machten Autoausflüge, um dieses Teilstück der Stadtautobahn zu passieren – es war einfach eine Sensation – !