– unterwegs in der Großsiedlung Siemensstadt
Da lebe ich nun über 25 Jahre in Siemensstadt, aber so wirklich beschäftigt habe ich mich bisher wenig mit der Architekturgeschichte meines Kiezes. Klar habe ich ab und zu Touristengruppen hier entlanglaufen sehen und auch die Hinweisschilder an einigen Häuserreihen kenne ich. Aber da muss erst 100 Jahre Bauhaus gefeiert werden, damit ich dann auch feststelle, ich wohne nicht nur in einem UNESCO Weltkulturerbe, ich wohne sogar in einem Bauhaus Gebäude von Walter Gropius!
Großsiedlung Siemensstadt
Zwischen 1929 und 1930 begann man die Großsiedlung Siemensstadt als östliche Erweiterung von Spandau zu errichten. Das Gebiet außerhalb des S-Bahnrings sollte für den sozialen Wohnungsbau genutzt werden.
Das städtebauliche Konzept entwickelte Hans Scharoun. Bekannte Architekten wie Walter Gropius, Otto Bartning, Hugo Häring, Fred Forbat, Paul Rudolf Henning und auch Scharoun selber gestalteten jeweils einen Block mit 2-3 Häuserzeilen der neuen Siedlung. Zusätzlich gab es einen Landschaftsarchitekten, der für die Gestaltung der Grünanlagen zuständig war. Schwerpunkt der gesamten Planung war das Miteinander von Wohnstadt und Freiraum/Grünflächen. Das Prinzip „Licht, Luft, Sonne“ sollte im Mittelpunkt der Planung stehen.
Auch wenn der Name die Verbindung mit der Nähe liegenden Siemenswerke vermuten lässt, der Konzern war nicht an der Planung beteiligt und es sind auch keine Werkswohnungen. Die Siedlung entstand durch ein Bauprogramm der Stadt Berlin.
In der Zeit des Nationalsozialismuses wurde die Architektur, wie sie in Siemensstadt entstanden war, abgelehnt. Die Architekten wurden verunglimpft und in einigen Fällen sogar mit Bauverbot belegt. Da die Siedlung noch sehr jung war, wollte man sie jedoch nicht abreißen. Man versuchte durch schnellwachsende Bäume die Bauten „unsichtbar“ zu machen. Nach Plänen von Speer, Hitlers Lieblingsarchitekt, sollten im Zuge der Stadtumgestaltung in Charlottenburg-Nord Monumentalbauten entstehen und den “Schandfleck verdecken”. Verwirklich wurde nur ein Altersheim, das heute zu einem Wohnhaus umgebaut ist.
Seit 2008 ist die Siedlung eine der sechs Siedlungen der Berliner Moderne, die in der UNESCO Weltkulturerbeliste stehen.
Kleiner Spaziergang durch das Weltkulturerbe
Wer mit der U-Bahn in Richtung Spandau fährt (U7), steigt am besten an der Station Siemensdamm aus und nimmt den Ausgang Jungfernheideweg. Geht man am Supermarkt vorbei in den Jungfernheideweg betritt man auch schon die Großsiedlung Siemensstadt.
Hans Scharoun und der Panzerkreuzer
Links und rechts der Straße steht eine Häuserreihe, die von Hans Scharoun geplant worden ist. Ein bißchen erinnert das Gebäude an die Schiffsarchitektur, mit Bullaugen und Kommandobrücke. Der Architekt hatte bei der Planung an das positive Image der Seefahrt gedacht: Freiheit, Modernität, Weitläufigkeit.. Der Volksmund greift mit seiner Bezeichnung Panzerkreuzer eher die kriegerische Tradition der Seefahrt auf.
Scharoun war ein Architekt (1893-1972), der heute als Vertreter der organischen Architektur gilt. Er wollte sich von vorgefertigten Formen lösen und Gebäude passend zu ihrem Nutzungscharakter entwickeln.

Die Gebäude im Jungfernheideweg bilden das Eingangstor zur Großsiedlung Siemensstadt. Trichterförmig laufen sie auf die S-Bahnbrücke zu. Die Fassade des Panzerkreuzers ist im Gegensatz zu der Häuserzeile auf der gegenüber liegenden Straßenseite sehr lebhaft gestaltet. Die Häuserzeile mit den geraden Hausnummern wird von schmalen Fensterschlitzen in den Treppenhäusern und Loggien bestimmt. Hier findet man 2,5 Zimmerwohnungen, die sehr unkonventionell geschnitten sind. Lange Jahre lebte Scharoun auch hier in einer der Wohnungen (bis 1960).
Die Wohnungen auf der gegenüber liegenden Straßenseite haben runden sehr kleine Balkone zur Straßenseite. Die Wohnungsgrundrisse sind sehr verschachtelt.
Im Zweiten Weltkrieg wurde der im Volksmund Panzerkreuzer genannte Gebäudekomplex stark beschädigt und leider nicht im Original wieder aufgebaut worden (Gebäudebereich mit den zwei Geschäften im Erdgeschoss, sah ursprünglich anders aus).
Walter Gropius – oder hier bin ich zu Hause
Gropius zählt zu den führenden Architekten des letzten Jahrhunderts. Mit ihm verbindet man die Bauhausarchitektur. Für ihn war der Wohnungsbau ein Schlüssel um sozial, hygienische und städtebauliche Probleme zu lösen. In Siemensstadt hat er seine Ideen dazu umgesetzt.
Steht man vor den beiden Häuserzeilen im Jungfernheideweg fällt zunächst die schlichte weiße Fassade mit den sehr eintönigen Fensterreihen auf. Einzige Blickpunkte sind die Klinkerverblendung der Fenster und die etwas zurück gesetzten Verglasten Treppenhäuser. Die Gartenseite ist ähnlich unspektakulär gestaltet. Hier dominieren die vollständig verglasten Loggien/Wintergärten.

Die Häuserzeile mit den ungeraden Hausnummern hat die größten Wohneinheiten der Großsiedlung Siemensstadt. Mit 3,5 Zimmern war hier der Wohnraum für eine sechsköpfige Familie gedacht. Da es keine Durchgangszimmer gibt, bestand auch die Möglichkeit einzelne Räume unterzuvermieten.
Als Mieterin in einer dieser Wohnungen muss ich sagen, dass es sich hier angenehm lebt. Die Größe von Bad und Küche war zur damaligen Zeit wirklich sehr fortschrittlich. Heute ist es etwas eng, vor allem wenn man mehrere Elektrogeräte unterbringen möchte. Der Wohnungsgrundriss ist sehr stimmig, wir wohnen gerne hier.
Das Thema „Licht, Luft,Sonne“ hat Walter Gropius sehr gut umgesetzt. Die Wohnungen sind hell und sonnendurchflutet. Es gibt eine Dachterrasse, die sich die Mieter teilen und einen geschlossenen Innenhof mit Bäumen,Wiese und Spielplätzen. Besonders der Innenhof ist für Familien mit Kindern ideal, die Kinder können hier ungestört vom Straßenverkehr spielen.
Die Häuserzeile im Jungfernheideweg mit den geraden Hausnummern liegt etwas zurückgesetzt vom Straßenverlauf. Die Wohnungen sind etwas kleiner und verfügen über eine Nord-Süd Orientierung.
Hugo Häring Wohnhäuser in der Goebelstraße
Der Architekt und Möbelgestalter Hugo Häring hat in der Großsiedlung Siemensstadt eindeutig die schönsten Häuser errichten lassen.
Die Zeilenbebauung ist geprägt durch eine plastisch gegliederte Eingangsfassade. Hier springen dem Betrachter die nierenförmige Balkone sofort in Auge. Im Obergeschoss werden diese zu einem rechteckigen Balkon zusammengefasst. Besonders schön finde ich die Gestaltung mit braunem Klinker, der den Häusern eine gewisse Wärme verleiht.

Otto Bartning – oder der „Lange Jammer“
Der Architekt Otto Bartning ist bekannt für viele Kirchenbauten. Er bekam den schwierigsten und undankbarsten Bauteil in der Großsiedlung zugewiesen. Das Grundstück zwischen der Goebelstraße und dem Bahndamm ist schmal, lang gestreckt und gebogen. Zusätzlich verläuft es ist Ost-West-Richtung.

Aber er hat sich der Herausforderung gestellt und die Häuserzeile aus 25 gleich geformten Hauseinheiten zusammen gesetzt. Die Häuserfront ist einfach und wird nur von kleinen Dächern über der Eingangstür unterbrochen. Das Treppenhaus hat einen verglasten Aufgang. Die Ansicht der Südseite der Häuser wird durch die Balkone bestimmt.
Optisch scheint die Häuserzeile einen Bogen zu machen und da die Häuser schon damals als zu streng empfunden wurden, war schnell der Spitzname „Lange Jammer“ geprägt.
Gebäudekomplexe von Fred Forbat
Fred Forbat arbeitete als Stadtplaner und Architekt. Er errichtete sehr unterschiedliche Häuserzeilen. Im ersten Bauabschnitt baute er einen Wohnblock, der die Häuserzeilen von Häring zum Geißlerpfad hin abschließt. Er entwarf im zweiten Bauabschnitt das Brückengebäude, dass den grünen Bereich zwischen den Zeilen nach Osten abgrenzt.

Die Häuser von Forbat haben eine Ziegelverblendung im Erdgeschoss und sind ansonsten sehr hell gehalten. Die Wohnungen in seinen Häusern haben vier verschiedene Grundrisse.

Paul Rudolf Henning und seine Wohnidee für die Großsiedlung Siemensstadt
Paul Rudolf Henning war Architekt und Bildhauer. 1930/31 nach der Beendigung des ersten Bauabschnittes erweiterte er die Siedlung mit seinen Bauten. Es entstanden drei Zeilen, mit drei Geschossen, die zum Jungfernheidepark in zweigeschossige Bauten übergingen. Markenzeichen seiner Häuser sind die abgerundeten quaderförmigen Balkone, die Platz für 5 Personen bieten. Man findet auf seinen Häusern große Dachterrassen, die vom Bauherren gefordert waren, um allen Bewohner „Licht, Luft, Sonne“ bieten zu können.

Henning erweiterte 1933/34 die Siedlung in Siemensstadt. Es gab inzwischen neue Baubestimmungen, die 3-4 Geschosse pro Haus vorsahen. Jede Etage musste über 3 Wohnungen verfügen. Es entstanden zwei spiegelbildlich angeordnete schmuck- und balkonlose Bauten.

Interesse an einer Führung?
Die „Mann mit Hut Touren“ von Christian Fessel führen kreuz und quer durch Siemensstadt. Informationen dazu findet man auf der Webseite des Anbieters.
Isabel
Hallo Susanne,
ich wollte mich gern für die Teilnahme an meiner Berlin-Blogparade bedanken und muss direkt Alexandra recht geben: im Urlaub und auf Reisen hechten wir den berühmten Stätten oft hinterher, kennen aber die die prominenten Orte im eigenen Land nicht!
Danke dir für die vielen Infos!
Beste Grüße
Isabel
Tanj
Liebe Susanne,
ach wie cool. Ich wußte gar nicht, dass dort auch richtige Touren angeboten werden.
Das gefällt mir gut. Die Häuser von Hugo Häring gefallen mir übrigens auch am besten. :)
Liebe Grüße
Tanja
Barbara
Hallo Susanne,
wow, Ihr wohnt in einem Haus von Gropius?! Das stelle ich mir faszinierend vor – wirklich erleben zu können, was die Herren geplant haben – auch wenn die Anzahl der heutigen elektrischen Geräte in der Küche damals noch nicht absehbar war. ;-)
Ich mag die Siemensstadt sehr gerne und bin sowieso ein Fan der Moderne. Danke fürs virtuelle Mitnehmen in dieses Stück lebendiges Welterbe.
Liebe Grüße
Barbara
Alexandra Sefrin
Liebe Susanne,
ehrlich gesagt, habe ich mich in diesen Teil Berlins noch nie verirrt. Schon seltsam, da steht was auf der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes im eigenen Land und man kennt es nicht. Die Hintergründe für diesen Baustil zu erfahren, waren ganz interessant. Gut finde ich vor allem, dass auch mal an größere Familien gedacht wurde.
Liebe Grüße
Alex
Angela
Liebe Susanne,
mir war auch überhaupt nicht klar, dass Siemenssadt Bauhaus ist. Ich bin an den Häuserzeilen bisher höchstens mal vorbeigehuscht, wenn ich beruflich in der Ecke zu tun hatte (was jetzt auch nicht so oft vorkommt). Das sollte ich wohl mal ändern, und in diesem Teil von Berlin mal auf Entdeckungstour gehen. Wie toll, in so einem Haus zu wohnen!
Liebe Grüße
Angela
Dimitri Suchin
Einige Bilder und Randnotizen zu Ihrem Beitrag: http://scharoun-gesellschaft.de/projekte/siedlung-siemensstadt-berlin/#comment-279
Susanne Jungbluth
Vielen Dank für die zusätzlichen Informationen und Bilder. Wir werden zusätzlich einen Link im Artikel einbauen, der zur Scharoun Gesellschaft und dem tollen Content auf der Webseite hinweist.
Susanne