Dieser Artikel beginnt mit …es war einmal… und endet mit einem großen Fragezeichen.
Es war einmal die S-Bahn Siemensstadt, die fuhr vom Bahnhof Jungfernheide bis nach Haselhorst. So lange ist es noch gar nicht her, den sogar meine Eltern sind noch diese Strecke täglich zur Schule und zur Uni gefahren und täglich nutzten unzählige Siemens Arbeiter diese Strecke, um zur Arbeit zu kommen. Zu Spitzenzeiten fuhr die Bahn im 2-Minuten-Takt mit 12 Wagen. Heute fährt hier keine Bahn mehr entlang – warum?
Geschichte der S-Bahn Siemensstadt
Im September 1980 fuhr hier die letzte S-Bahn, die letzte S-Bahn nach über 55 Jahren Betrieb.
In den 1920er Jahren verlagerte Siemens & Halske sein Hauptwerk an den Berliner Stadtrand. Hier gab es große ungenutzte Flächen, aber keine Anbindung an das bestehende S-Bahnnetz in Berlin. Viele der Arbeiter lebten in Kreuzberg oder Moabit und so tat Siemens alles, um ihnen den Arbeitsweg zu erleichtern. In Eigenregie und fast auf eigene Kosten ließen sie die 4,5 Kilometer lange S-Bahn Strecke bauen. Die Reichsbahn übernahm den Zugbetrieb und 1929 fuhren die ersten Züge über eine Strecke, die in großen Teilen über das Siemens Werksgelände führte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg verlegte Siemens sein Hauptsitz nach München. Die Zeit, in der 17.000 Menschen täglich die Bahn nutzten, war vorbei, es fuhren nur noch wenige Fahrgäste mit der S-Bahn Siemensstadt.
Politisch betrachtet war die Strecke auch nicht gerne gesehen. Die gesamte Berliner S-Bahn stand unter der Verwaltung der DDR Reichsbahn. Jedes Ticket, dass Passagiere nach dem Mauerbau für eine Fahrt mit der S-Bahn kauften, floss als Devise in die DDR und finanzierte damit den Nachbarstaat. Um den S-Bahnverkehr zu minimieren, baute die BVG das Busstreckennetz so aus, dass man auf eine Fahrt mit der S-Bahn verzichten konnte. In Siemensstadt baute man parallel zur S-Bahnstrecke die U7.
1980 streikten die West-Berliner S-Bahnfahrer gegen die schlechten Arbeitsbedingungen. Ihr Arbeitgeber die Reichsbahn der DDR zog Konsequenzen und stellte den Verkehr auf mehreren Strecken ein. Eine der ersten Streckenabschnitte, die davon betroffen waren, war die S-Bahn Siemensstadt.
Geisterbahnhöfe und verrottete Schienen
Heute ist die Bahnstrecke ungenutzt, die Gleisanlagen verrotten, die Bahnhöfe verfallen.
Vom Bahnhof Jungfernheide führte die Bahnstrecke über die Spree. Die Brücke wurde abgebaut und die Spree konnte an dieser Stelle problemlos verbreitert werden.
Wir sind dem alten Streckenverlauf gefolgt und im Technopark auf dem Wohlrabedamm unter der S-Bahn Trasse weiter gelaufen.
Am Siemensdamm Ecke Wohlrabedamm steht der erste Bahnhof der Siemensbahn, der Bahnhof Wernerwerk. Heute ist hier alles verschlossen und nur noch die Schilder erinnern an den einstigen Betrieb.
Im Sommer noch schöner zu sehen (dafür erkennt man den Bahnhof schlechter), die Natur hat sich den Bahnhof zurück erobert. Überall wachsen Bäume auf den Gleisanlagen.
Der Streckenverlauf geht am großen Einkaufszentrum vorbei. Hier wird der Raum unter den Schienen als Parkplatz genutzt.
Nach der nächsten Brücke verläuft die S-Bahn-Strecke auf einem Erdwall weiter. Bis Ende 2016 konnte man hier noch ohne Probleme auf den Gleisanlagen entlang laufen. Die Zäune waren kaputt und der Zugang dadurch möglich. Glücklicher Weise hat die Bahn die Sicherung der alten Strecke erneuert. Nicht nur, dass hier im Frühling die Vögel brüten, es ist auch der Lebensraum für Hasen und Füchse. Zusätzlich sind die Brücken und Bahnhöfe nicht mehr so sicher, dass unerlaubten Besuchern nichts passieren kann. Der bauliche Zustand ist mehr als schlecht.
Ein kleines Stück kann man parallel zum Bahndamm entlang laufen, dann sind die Grundstücke einer Kita und einer Schule im Weg. Also wird ein kleiner Schlenker gegangen, bis zum Rohrdamm. Hier befindet sich der Bahnhof Siemensdamm, der auf einer Brücke über dem Rohrdamm liegt.
Die Reste der alte Bahnhofsuhr sind gut zu sehen, das Ziffernblatt ist nicht mehr vorhanden.
Der Weg führt weiter zwischen dem Siemensgelände und einem Hotel entlang in eine Gartenkolonie. Vor dem Bahndamm liegen heute die Lauben in himmlischer Ruhe (wenn man von den Flugzeugen, die in Tegel landen absieht). Durch die Bäume kann man ein altes Signal entdecken. Auch hier hat die Natur sich ihren Lebensraum zurück erobert.
Und nur wenige Schritte weiter befindet sich das alte Stellwerk der S-Bahn Siemensstadt. Das Gebäude steht leer mit eingeschlagenen Scheiben in der Kolonie.
Dann biegt die S-Bahn Strecke ab und verläuft so durch die Gartenkolonie, dass man sich kaum noch nähern kann. Wir laufen also weiter am Saatwinkler Damm entlang, bis zur Endhaltestelle der S-Bahn, dem Bahnhof Gartenfeld.
Der alte Backsteinbau war in den letzten Jahren eine Gärtnerei und steht nun schon etwas länger leer. Sehr schade, den das Haus hat Charme und könnte bestimmt sinnvoll genutzt werden.
Leider sehr schwer zu sehen, trotz fehlender Blätter an den Bäumen, ist der letzte Bahnsteig der S-Bahnstrecke.
Damit endet unser Spaziergang und die Entdeckungstour entlang der verlassenen S-Bahn.
Ausblick
Was passiert mit der S-Bahn Siemensstadt?
Das ist die Frage, die uns als Anwohner und auch die Politiker immer wieder beschäftigt.
Es geistern Gerüchte umher, die mal von Abriss und mal von Wiederaufbau sprechen. Zur Zeit wird davon gesprochen, dass die Strecke neu belebt wird, wenn … Ja wenn! Wenn Tegel geschlossen wird, und der Flugplatz in die Nachnutzung übergeht. Dann könnte vielleicht die Strecke sogar bis Tegel erweitert werden.
Tegel, geschlossen?! Da glauben einige Politiker noch wirklich an den BER.
Für mich als Anwohner ist es nicht unbedingt notwendig, die S-Bahn wieder in Betrieb zu nehmen. Es fährt ein Bus zum Hauptbahnhof und zum Flughafen Tegel, die U-Bahn zum Bahnhof Spandau und zum S-Bahnring oder der Innenstadt, also ist die Anbindung mit den öffentlichen Verkehrsmitteln ist wirklich gut. Ich finde es schöner, die Strecke weiter der Natur zu überlassen, die eine wunderbare grüne Schneise durch Siemensstadt geschaffen hat.
Daniela
Es wäre schön, wenn diese Strecke jetzt saniert und Renoviert wird. Und nicht in 10 Jahren, wenn dieser Campus Siemens 2.0 Fertig ist.. Dann wäre alles nicht mehr da. Es wäre auch schön, wenn eine Bürger-Initiative für diese “Siemensbahn” geben würde. Mann könnte so mehr druck ausüben.
Susanne Jungbluth
Zur Zeit werden ja schon die ersten Schritte unternommen. Neulich fuhr gerade ein Fahrzeug über die alten Gleise zur Überprüfung der Anlagen. Ich hoffe nur, dass sie schnell die Brücke bauen, die über die Spree führen muss, damit die Bahn überhaupt fahren kann.
Sven Türpitz
Ich war erst gestern (23.06. 2020) wieder auf der Trasse unterwegs. Die ersten Bahnarbeiter waren schon mit ein paar Arbeiten zur geplanten Wiederinbetriebnahme beschäftigt. Leider konnte mir keiner sagen wann die Siemensbahn wieder fährt
Susanne Jungbluth
Das wird wohl noch einen Moment dauern. Zuerst muss eine neue Brücke über die Spree gebaut werden, damit der Anschluss Richtung Jungfernheide besteht.
Sven Türpitz
Ja! Und nicht nur das. An der Strecke gibt es so einiges zu tun, nach über 40zig Jahren Außer Betrieb. Vandalen und auch die Natur haben in dieser ganzen Zeit ganze Arbeit geleistet. Erst kürzlich musste ich feststellen, das einige Idioten das Hölzerne Treppenhaus des Stellwerks Gartenfeld abgefackelt haben. Verstehen muss man diese sinnlose Zerstörungswut nicht. Das ist kein normales Verhalten. Ich mache auf dieser Strecke nur Fotos. Aber anderen reicht das nicht.
Theresa
Gibt es schon Neuigkeiten zum aktuellen Stand der Strecke? Ich liebe ja solche Orte. Da muss ich fast ja mal auf Erkundungstour kommen und mir das ganze genauer ansehen :)
Liebe Grüße aus dem Wedding
Susanne Jungbluth
Also ganz aktuell wird die Trasse gerade besichtigt und vom Bewuchs befreit. Ich denke, wenn der Zustand geklärt ist, wird weiter geplant.
Bernd
Bei uns ist es so, dass die alten Bahnstrecken wieder in Betrieb genommen werden. So können Infrastrukturkonzepte neu bedacht werden. In der Region kann man beispielsweise auf einer Draisine auf den Schienen fahren.
kh
Das ist ja großartig! Und sehr energiesparend! Sportlich ist man auch. Alles im Trend!
Christoph Stade
Ich fände es wünschenswert und konsequent,
wenn im Zuge der neuen Investitionen durch
Siemens an seinem Traditionsstandort auch
die S-Bahn wiedereröffnet würde, auch wenn
dies einem technischen Neubau gleich kommt.
Susanne Jungbluth
Also ich hätte auch nichts dagegen, auch wenn mir die bisherige Verkehrsanbindung ausreicht. Aber im Zuge von Wohnungsneubauten wäre die Belastungsgrenze bestimmt bald erreicht.
Jasmin
Das ist ja ein mega spannender Bericht. Ich finde es schon irgendwie schade das es die S-Bahn dort nicht mehr gibt. Die Bilder sind mega toll. Da würde ich sehr gerne mal shooten.
LG Jasmin
Susanne Jungbluth
Danke, ich denke bei einem Shooting direkt auf der Anlage würde man noch viel mehr spannende Details entdecken.
LG, Susanne